Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hollow Skai
Vom Netzwerk:
»Da werden ja die Nazis, die jetzt schon Scherben-Songs auf ihren Demos spielen, vor Freude im Kreis hüpfen!«, freute sich »ein nerviger Antifa« hämisch auf der Pinwand des Vereins Rio Reiser Haus. Schließlich wisse ja »jeder halbwegs Informierte«, dass diese »Zahl die Abkürzung für Adolf Hitler (1 und 8 als Ersatz für A und H)« sei.

    Alternatives Staatsbegräbnis

37 Ich will ich sein
    Bereits 1987 hatte Anke Kapels im stern erkannt, dass jeder sich »das Stück Rio« herauspicke, das ihm gefalle, aber keiner Rio »real« wolle. Herzlich wenige hätten sich dafür interessiert, »wie er überhaupt war«, glaubt auch Corny Littmann. Von außen sei »fürchterlich viel auf ihn projiziert worden«, und jeder habe ihn sich »so zurechtgebastelt, wie er ihn haben wollte«. Dabei sei er der Haupternährer eines ganzen Kollektivs gewesen, von dem alles abgehangen habe.
    Kein Wunder also, dass er in einem Interview mit Albrecht Metzger 1982 gebeichtet hatte, sich »manchmal gerne der Verantwortung entziehen« zu wollen, und vier Jahre später im Schädelspalter bekannte, dass es ihm zu viel Verantwortung sei, »zu jeder Tagesund Nachtzeit« sagen zu müssen, wo es langgehe.
    Zu Lebzeiten hatte kaum jemand diese Hilferufe zur Kenntnis genommen, und nach seinem Tod erinnerte sich niemand mehr daran. Rio wurde auch weiterhin als Projektionsfläche benutzt, um die verschiedensten Ansichten unters Volk zu bringen.
    Claudia Roth, die es von der Pressesprecherin zur Bundesvorsitzenden der Partei Bündnis 90/Die Grünen gebracht hatte, erwähnte bei jeder Gelegenheit, die sich ihr bot, dass sie mal Ton Steine Scherben gemanagt habe. Als sie in das höchste Parteiamt gewählt wurde, zitierte sie einen Text von Rio: »Ich will ich sein, anders kann ich nicht sein.« Im PDS-Kalender 2002 antwortete sie auf die Frage, was sie als Königin von Deutschland machen würde, dass sie dann »Claudia die Erste nach Sissi der Zweiten« wäre (was eigentlich nur so zu deuten ist, dass sie das pure Sein bereits als Tätigkeit empfindet). In der taz erweckte sie am 31. Dezember 2002 den Anschein, alles sei möglich gewesen: »Rio oder die Scherben haben sensationelle Schlager gemacht. Ich versteh’ gar nicht, warum wir nie am Grand Prix teilgenommen haben. Interesse hätte bestanden, denn Rio fand Sandie Shaw einfach klasse. Und dann noch barfuß – das war wunderbar.« Und natürlich war sie auch, gemeinsam mit dem Boxer Axel Schulz, in der ultimativen Chart Show von RTL zu Gast, als es um die »besten deutschsprachigen Hits aus 40 Jahren« ging.
    Beim Grünen-Parteitag 2001 in Rostock, auf dem der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr abgenickt wurde und Joschka Fischer die Vertrauensfrage für seine Außenpolitik stellte, plärrte ihr beim Betreten der Stadthalle allerdings aus Lautsprechern ein Scherben-Song entgegen – Keine Macht für Niemand . Und von der taz musste sie sich im November 2003 sagen lassen: »Wenn sich Claudia Roth heute gern an Reiser erinnert, erinnert sie sich an den Mann, der zuletzt nicht für sie und die ihren, sondern für die PDS auftrat. Jetzt aber, da Reiser tot ist, reklamiert ihn Roth wieder für sich.« Und damit nicht genug – für das zweite familienalbum sprach sie Rio zu Ehren, von dem sie gelernt habe, so zu sein wie sie sei, den Text des Scherben-Songs Ich will ich sein auf Band: »Ich will wie ich sein/ will nur wie ich sein/ genau wie ich sein/ ich weiß zwar nicht genau/ wie das geht …« – aber gut, dass wir mal drüber gesprochen haben.
    Claudia Roth ist nicht die Einzige, die sich nach seinem Tod auf ihn berief, wann immer das von Vorteil zu sein schien. Nachdem er Anfang der Siebziger aus der Band gekickt worden war, erhob plötzlich auch Wolfgang Seidel, der Erste von insgesamt fünf Vorgängern des Scherben-Schlagzeugers Funky Götzner, die Stimme und bemängelte, dass von der Band »in einer Art alternativer Butzenscheiben-Romantik« nur noch als »Familie« gesprochen werde. Das Scherben-Kollektiv würde aufgebrochen, Rio herausgehoben und »als weitgehend polit- und drogenfreier Rocksänger präsentiert, verbunden mit ein bisschen Häuserkampfromantik«, lässt er sich in dem von ihm selbst herausgegebenen Scherben -Buch zitieren. Die Geschichte von Ton Steine Scherben schrumpfe so auf ein paar Absätze und werde zum »Nebenprodukt der Möbius-Familienaktivitäten«. Zuvor hatte er in der Jungen Welt gegen die »fortschreitende Trennung der Musik der Scherben von ihrer

Weitere Kostenlose Bücher