Ripley Under Ground
verhindern, schob er auch das Laub etwas von der Feuerstelle fort. Mehr Zeit durfte er sich nicht nehmen, es wurde jetzt dunkel. Er packte das Knochenhäufchen in Zeitungspapier und legte es in den Koffer; dann ging er, Schaufel und Koffer in der Hand, den Abhang hinunter.
Als er zu der Bushaltestelle kam, war der Schubkarren verschwunden. Er ließ die Schaufel am Kantstein liegen und ging weiter. Die nächste Haltestelle war ein ganzes Stück entfernt. Eine Frau kam und wartete ebenfalls; er blickte sie nicht an.
Der Autobus schaukelte heran, quietschend ging die Tür auf, und Fahrgäste stiegen aus und ein. Tom versuchte nachzudenken, und wie immer machten die Gedanken große Sprünge, während er sich seine Geschichte zurechtlegte. Ob das ging – ja: er hatte sich also mit Bernard und Derwatt hier in Salzburg getroffen; ein paarmal hatten sie hier miteinander gesprochen. Derwatt hatte von Selbstmord geredet und gesagt, er wollte eingeäschert werden, und zwar nicht im Krematorium, sondern irgendwo im Freien. Bernard und Tom sollten das übernehmen, darum hatte er sie beide gebeten. Tom hatte versucht, die beiden Männer aus ihrer Depression herauszukriegen, aber Bernard war niedergedrückt wegen Cynthia (das konnten Jeff und Ed bezeugen), und Derwatt – Der Bus hielt, und Tom stieg aus, ohne sich umzusehen, wo er war. Er wollte nachdenken.
»Soll ich Ihren Koffer nehmen, Sir?« fragte der Page im Goldenen Hirsch.
»Oh, der ist ganz leicht, danke schön«, erwiderte Tom. Er stieg hinauf in sein Zimmer, wusch sich Gesicht und Hände, dann zog er sich aus und nahm ein Bad. Er malte sich die Unterhaltungen mit Bernard und Derwatt in verschiedenen Salzburger Bier- und Weinstüberln aus. Bernard und Derwatt mußten sich hier erst wiedergesehen haben, denn Derwatt war ja schon vor mehr als fünf Jahren nach Griechenland gefahren; als er vor kurzem nach London kam, war ihm Bernard aus dem Wege gegangen, und bei Derwatts zweitem kurzen Besuch war Bernard gar nicht in London gewesen, da war er schon in Salzburg. Er hatte in Belle Ombre mit Tom über Salzburg gesprochen (das stimmte sogar); und als Derwatt Heloise in Belle Ombre anrief, hatte sie ihm gesagt, Tom sei nach Salzburg gefahren, mit der Absicht, dort Bernard zu sprechen, oder jedenfalls wollte er versuchen ihn zu finden, und deshalb war Derwatt ebenfalls hingefahren. Unter welchem Namen war Derwatt gereist? Na, das blieb eben im Dunkel. Er benutzte ja auch in Mexiko einen anderen Namen, den niemand kannte. Tom mußte also nur noch Heloise einschärfen (aber nur für den Fall, daß jemand sie fragte), daß Derwatt in Belle Ombre angerufen hatte.
Gut. Das alles war noch nicht ganz glatt und perfekt, aber für den Anfang genügte es.
Zum zweitenmal nahm er sich jetzt Bernards Reisetasche vor, um nach kürzlichen Notizen zu suchen. Am 5. Oktober hatte Bernard notiert: »Ich habe manchmal ein Gefühl, als sei ich schon tot. Nur so viel ist noch von mir da, daß ich weiß, mein Ich hat sich aufgelöst, existiert nicht mehr. Ich war niemals Derwatt – aber bin ich denn wirklich Bernard Tufts?«
Der letzte Satz durfte nicht stehenbleiben, deshalb riß Tom die ganze Seite heraus.
Manche der Zeichnungen waren mit Bemerkungen versehen. Notizen über Farben, das Grün der Salzburger Häuser. »Mozarts lärmende Gedenkstätte, und dabei kein einziges Bild von ihm, das wirklich etwas taugt.« Und dann: »Oft schaue ich auf den Fluß hinunter. Die Strömung ist stark, das ist hübsch. Vielleicht wäre das der beste Weg: mutig von irgendeiner Brücke herunter, abends, wenn keiner da ist, der ruft: ›Rettet ihn!‹«
Das war gut zu gebrauchen. Tom klappte den Zeichenblock schnell zu und ließ ihn in die Reisetasche fallen.
Ob er irgendwas über ihn, Tom, geschrieben hatte? Noch einmal durchblätterte er den Zeichenblock und suchte nach seinem Namen oder den Initialen, dann nahm er das kleine braune Notizbuch vor. Die meisten Eintragungen waren abgeschriebene Auszüge aus Derwatts Tagebüchern; und die letzten paar, die von Bernard stammten, waren alle datiert und gemacht, als Bernard in London war. Über Tom Ripley war nichts darin.
Tom ging hinunter ins Hotelrestaurant. Es war spät, aber er konnte noch etwas bestellen. Schon nach den ersten Bissen fühlte er sich besser, und der leichte Weißwein beschwingte ihn. Es schien ihm nicht mehr riskant, morgen nachmittag das Flugzeug zu nehmen. Falls ihn jemand wegen seines gestrigen Anrufs bei Jeff fragte, würde er sagen, er habe
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