Ripley Under Ground
eben seinen Koffer öffnen und komme gleich zurück. Dummerweise hatte Mme. Annette die Koffer schon nach oben gebracht; er hatte ganz nebenbei gesagt, sie könnten unten stehenbleiben, aber sie hatte nicht darauf gehört. Wenigstens hatte sie, wie er erleichtert sah, beide nicht geöffnet, wohl weil sie noch in der Küche zu tun hatte. Er stellte den neuen Schweinslederkoffer in einen Schrank und klappte den Deckel des anderen Koffers hoch, der seine Geschenke enthielt. Dann ging er nach unten.
Die beiden Grais waren Frühaufsteher und verabschiedeten sich vor elf.
»Hat Webster noch mal angerufen?« fragte Tom Heloise.
»Nein.« Leise setzte sie auf Englisch hinzu: »Darf Mme. Annette wissen, daß du in Salzburg warst?«
Sie war doch eine tüchtige Frau. Tom lächelte erleichtert. »Ja. Du mußt jetzt sogar sagen, daß ich da war.« Er wollte es ihr erklären, aber heute abend war er nicht imstande, ihr etwas von Bernards Überresten zu erzählen. Nicht nur heute abend – vielleicht überhaupt nicht. Die Asche von Bernard-Derwatt. »Ich erklär´s dir später. Jetzt muß ich erstmal mit London sprechen.« Er nahm den Hörer und meldete ein Gespräch mit Jeffs Fotoatelier an.
»Was war denn nun in Salzburg? Hast du den fou gesehen?« Heloise war offenbar mehr besorgt um Tom als verärgert mit Bernard.
Tom warf einen Blick in Richtung auf die Küche, aber Mme. Annette hatte bereits gute Nacht gesagt und die Tür zugemacht. »Der fou ist tot, Kind. Selbstmord.«
»Vraiment! Du scherzt doch nicht, Tome ?« Aber sie wußte, er scherzte nicht.
»Es kommt jetzt darauf an, daß wir allen sagen, daß ich in Salzburg war.« Tom kniete einen Augenblick neben ihrem Stuhl, legte den Kopf in ihren Schoß, stand dann auf und küßte sie auf beide Wangen. »Und dann muß ich auch noch Bescheid sagen, daß Derwatt tot ist, auch in Salzburg. Liebes, noch etwas: falls du je gefragt wirst: Derwatt hat von London aus hier angerufen und dich gefragt, ob ich da wäre, und du hast ihm dann gesagt: ›Tom ist nach Salzburg gefahren.‹ Ist das klar? Es ist leicht zu behalten, weil es die Wahrheit ist.«
Heloise blickte ihn etwas von oben herab an und verzog den Mund zu einem leicht spöttischen Lächeln. »Die Wahrheit? Was ist denn nun die Wahrheit, und was nicht?«
Die Frage klang fast philosophisch. Es war ja auch eine Frage für Philosophen, weiß Gott; warum sollten sie beide sich den Kopf darüber zerbrechen? »Ach, komm mit nach oben, dann werd ich dir beweisen, daß ich in Salzburg gewesen bin.« Er zog sie vom Stuhl hoch.
In seinem Zimmer betrachteten sie gemeinsam die Sachen, die er mitgebracht hatte. Heloise probierte die grüne Weste gleich an, umarmte die blaue Jacke und zog sie ebenfalls an. Sie paßte gut.
»Und einen neuen Koffer hast du auch gekauft!« sagte sie, als sie den Schweinslederkoffer in seinem Schrank stehen sah.
»Ach, das ist nichts Besonderes«, sagte Tom auf Französisch in dem Augenblick, als das Telefon klingelte. Mit einer Handbewegung schob er sie von dem Koffer weg und ging ans Telefon. London meldete sich nicht, sagte der Telefonist, und Tom bat darum, es noch weiter zu versuchen. Es war bald Mitternacht.
Tom stellte sich unter die Dusche und unterhielt sich dabei mit Heloise. »Und Bernard ist wirklich tot?« fragte sie.
Tom spülte den Seifenschaum ab. Er war glücklich, zu Hause zu sein, die vertraute Badewanne unter den Füßen zu fühlen. Er zog einen seidenen Pyjama an. Wo sollte er anfangen mit Erklärungen – er wußte es nicht. Das Telefon klingelte. »Wenn du zuhörst, wirst du es verstehen«, sagte er zu Heloise.
»Hallo?« sagte Jeffs Stimme.
Tom stand steif und gerade da und sprach sehr ernst. »Hallo – hier ist Tom. Jeff, ich wollte dir sagen, daß Derwatt tot ist – in Salzburg ist er gestorben.«
Jeff fing an zu stottern, als ob er annähme, daß jemand mithörte, und Tom redete ruhig und gelassen weiter wie ein gesetzter Bürger:
»Ich habe noch nirgends die Polizei informiert. Der Tod war – ich möchte darüber am Telefon nicht sprechen.«
»Kommst d-du – kommst du nach London?«
»Nein, nach London komme ich nicht. Aber würdest du bitte Webster sagen, ich hätte dich angerufen, ich sei nach Salzburg gefahren, um Bernard zu suchen – nein, das mit Bernard laß nur erstmal. Bloß eins ist wichtig. Kannst du in sein Atelier gehen und jede Spur von Derwatt vernichten?«
Jeff verstand. Er und Ed kannten den Hausverwalter, der würde ihnen die Schlüssel geben. Sie konnten ja
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