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Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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die immer wieder auftauchten; aber die eine Eintragung – ja, hier ist sie schon. Sieben Jahre alt. Das ist der wahre Derwatt. Darf ich sie Ihnen vorlesen?«
»Ich bitte darum«, sagte Webster.
Bernard las: »Für den Künstler gibt es nur eine Depression: sie entsteht durch die Rückkehr zum Selbst. ›Selbst‹ hat er groß geschrieben. Dieses Selbst ist das eitle, ängstliche und egozentrische Vergrößerungsglas, das man gar nicht in die Hand nehmen sollte. Zuweilen fällt ein flüchtiger Blick darauf, mitten bei der Arbeit – das ist dann wirklich schlimm – oder zwischen zwei Bildern oder in den Ferien, die es gar nicht geben dürfte.« Bernard lachte kurz auf. »Eine solche Depression besteht, außer in einem Gefühl des Elends, in müßigen Fragen wie: Wozu das alles? Und in dem Ausruf: Wie sehr habe ich versagt! Und vor allem in der noch schlimmeren Erkenntnis, zu der ich längst hätte kommen sollen, daß nicht einmal auf die Menschen, die mich angeblich lieben, Verlaß ist zu einer Zeit, da ich sie wirklich brauche. Man braucht sie nicht, wenn es mit der Arbeit gut vorangeht. Und ich darf mich in diesem Augenblick der Schwäche nicht sehen lassen. Es könnte sein, daß es mir später vorgeworfen wird wie eine Krücke, die hätte verbrannt werden sollen – heute. Nein, die Erinnerung an die dunklen Nächte darf nur in mir fortleben. Nächster Absatz«, sagte Bernard ehrfürchtig. »Ob Menschen, die wirklich ohne Furcht vor Repressalien offen miteinander reden können, die besten Ehen führen? Wo in aller Welt gibt es noch Güte und Vergebung? Beides sehe ich eher in den Gesichtern der Kinder, die für mich sitzen, mich ansehen, mir zuschauen mit unschuldig großen Augen, die kein Urteil fällen. Und Freunde –? Der potentielle Selbstmörder kommt zu ihnen in dem Augenblick, da er sich dem Feinde, dem Tod gegenübersieht. Und einer nach dem andern ist nicht zu Hause, geht nicht ans Telefon oder hat dringende Gründe, er kann heute abend nicht, etwas Unaufschiebbares hindert ihn. Und der Rufende ist zu stolz, um einfach zusammenzubrechen und zu sagen: ›Ich muß – ich muß dich heute sprechen. Dies ist mein letzter Versuch, Kontakt herzustellen.‹ Wie bemitleidenswert, wie menschlich, wie groß – denn gibt es etwas Göttlicheres als Kommunikation? Ein Selbstmörder kennt ihre magischen Kräfte.« Bernard klappte das Heft zu. »Er war natürlich noch ziemlich jung, als er das schrieb. Keine dreißig.«
»Sehr eindrucksvoll«, sagte der Inspektor. »Was sagten Sie, wann er das geschrieben hat?«
»Vor sieben Jahren. Im November. Er hatte im Oktober in London einen Selbstmordversuch gemacht. Dies hat er geschrieben, während er sich erholte. Es war nicht – nicht allzu schlimm. Schlaftabletten.«
Tom hörte mit Unbehagen zu. Er hatte von diesem Selbstmordversuch nichts gewußt.
»Sie finden es vielleicht etwas melodramatisch«, sagte Bernard zu Webster. »Seine Tagebücher waren aber nicht für andere bestimmt. Die Galerie Buckmaster hat die andern. Außer wenn Derwatt es wollte . . .« Hilflos fing Bernard an zu stottern, wahrscheinlich weil er sich Mühe gab zu lügen.
»Dann ist er wohl ein Selbstmördertyp?« fragte Webster.
»O nein. Es geht sehr auf und ab mit ihm, das ist ganz normal – ich meine für einen Maler. Als er dies hier schrieb, war er bankrott. Ein Wandgemälde war ihm abgelehnt worden, und das Bild war ganz fertig. Die Leute wollten es nicht haben, weil ein paar nackte Gestalten darin waren. Es war irgendwo für ein Postamt bestimmt gewesen.« Bernard lachte, als sei das jetzt völlig egal.
Websters Gesicht blieb merkwürdig ernst und nachdenklich.
»Ich wollte Ihnen damit nur zeigen, daß Derwatt ein ehrlicher Mensch ist«, fuhr Bernard unbekümmert fort. »Ein unaufrichtiger Mensch hätte dies nicht schreiben können – und auch alles andere nicht, was er da über Malerei oder auch über das Leben selbst geschrieben hat.« Bernard klopfte mit den Fingern auf das kleine Buch. »Ich war einer derjenigen, die keine Zeit für ihn hatten, als er uns brauchte. Ich hatte keine Ahnung, wie schlecht es ihm ging. Keiner von uns wußte das. Er brauchte sogar Geld und war doch zu stolz, um darum zu bitten. So ein Mann stiehlt nicht und macht auch keine Fälschungen mit.«
Tom dachte, der Inspektor werde jetzt mit angebrachter Feierlichkeit erwidern: ›Ja, ich verstehe‹, aber er sagte nichts, sondern blieb nur mit gespreizten Knien nachdenklich sitzen, die eine Hand innen an den

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