Ripley Under Ground
habe meiner Haushälterin Bescheid gesagt, daß Sie wohl bleiben würden.«
Mme. Annette war in der Küche verschwunden.
»Nein, nein, vielen Dank«, sagte Webster lächelnd. »Ich bin zum Essen verabredet mit einigen Beamten in Melun – das ist die einzige Zeit, wo wir uns in Ruhe unterhalten können, glaube ich. Sehr französisch, nicht wahr? Um Viertel vor eins soll ich in Melun sein, ich muß jetzt also wohl ein Taxi bestellen.«
Tom rief den Autoruf in Melun an und bestellte einen Wagen.
»Ich würde gern noch einen Blick in Ihren Garten werfen«, sagte Webster. »Er sieht herrlich aus.«
Es wäre denkbar gewesen, daß seine Bitte einfach einem Stimmungswechsel entsprach – so wie jemand darum bittet, die Rosen besichtigen zu dürfen, um einer todlangweiligen Unterhaltung beim Tee zu entkommen. Aber Tom glaubte nicht, daß es das war.
Chris wäre gern mitgegangen, er war so hingerissen von dem Vertreter der britischen Polizei, aber Tom warf ihm einen abweisenden Blick zu und ging allein mit dem Inspektor nach draußen. Sie schritten die Steintreppe hinab, wo Tom beinahe hingefallen wäre gestern – gestern erst! –, als er hinter dem regendurchnäßten Bernard herlief. Die Sonne schien bläßlich, das Gras war fast trocken. Der Inspektor schob die Hände in die leicht ausgebeulten Hosen. Webster verdächtigte ihn vielleicht nicht gerade, dachte Tom, etwas Verbotenes getan zu haben, aber er spürte, daß hier nicht alles in Ordnung war. Ich diente meinem Staat nicht treu, das weiß er . . . Ein seltsamer Morgen für ein Zitat aus Shakespeare.
»Apfelbäume. Pfirsiche. Sie haben es wirklich wunderbar hier. Haben Sie eigentlich einen Beruf, Mr. Ripley?«
Die Frage war scharf und unumwunden, wie bei der Einwanderungsbehörde, aber daran war Tom gewöhnt. »Ich arbeite im Garten, ich male, lese, studiere, was ich Lust habe. Ich habe keinen Beruf im Sinne einer Anstellung in Paris, die mich zwingt, täglich oder auch nur wöchentlich in die Stadt zu fahren. Ich fahre selten nach Paris.« Tom nahm einen Stein, der die Rasenfläche verunzierte, und warf ihn gegen einen Baumstamm. Tockkk! klang der Aufprall, und ein Stich fuhr ihm durch das verzerrte Fußgelenk.
»Und der Wald hier – gehört der auch Ihnen?«
»Nein. Soviel ich weiß, ist das Gemeindeforst. Oder staatlich. Ich hol mir manchmal ein bißchen Feuerholz, Reisig oder so, von umgefallenen Bäumen. Möchten Sie ein Stück da entlanggehen?« Er wies auf den Fußweg.
Webster ging ein paar Schritte in den Weg hinein, blickte weiter hinunter und kehrte dann um. »Nein, danke schön, jetzt nicht mehr. Ich sehe mich wohl besser mal nach meinem Taxi um, nicht wahr.«
Das Taxi stand vor der Tür, als sie zum Hause zurückkehrten.
Tom – und ebenso Chris – verabschiedete sich von dem Inspektor. Tom wünschte ihm Bon appétit.
»Also so was!« sagte Chris bewundernd. »Fabelhaft. Haben Sie ihm das Grab im Wald gezeigt? Ich habe nicht aus dem Fenster gesehen, ich dachte, es wäre unhöflich.«
Tom lächelte. »Nein.«
»Ich wollte es noch erwähnen, aber dann dachte ich, es wäre doch idiotisch, Leute auch noch auf die falsche Spur zu bringen.« Chris lachte. Sogar die Zähne glichen Dickies: scharfe Schneidezähne und die andern alle ziemlich eng gestellt. »Was für ein Bild! Stellen Sie sich vor, der hätte das ausgegraben und nach Murchison gesucht!« Wieder brach Chris in Lachen aus.
Tom stimmte mit ein. »Ja – und wo ich ihn doch nach Orly gebracht habe, wie ist er dann bloß hierher zurückgekommen?«
»Wer hat ihn umgebracht?« fragte Chris.
»Gott, ich glaube gar nicht, daß er tot ist«, sagte Tom.
»Nein? Entführt dann?«
»Weiß ich nicht. Kann sein. Mit seinem Bild. Ich habe wirklich keine Idee. Wo ist Bernard?«
»Rauf gegangen.«
Tom ging nach oben. Bernards Tür war geschlossen. Tom klopfte an und hörte ein Gemurmel als Antwort. Bernard saß mit verschränkten Händen auf dem Bettrand. Er sah erschöpft aus – als sei er am Ende.
Tom sagte so heiter, wie er es fertigbrachte: »Das war sehr gut, Bernard. Tout va bien.«
»Ich hab versagt«, antwortete Bernard mit kummervollen Augen.
»Was soll das heißen? Du warst großartig.«
»Ich hab versagt. Deshalb hat er all die Fragen gestellt, nach Derwatt, wo er in Mexiko zu finden ist und so. Derwatt hat versagt, und ich auch.«
14
Das Mittagessen war eins der schlimmsten, die Tom je durchgestanden hatte – fast so schrecklich wie damals das Essen mit Heloise und ihren Eltern, als sie soeben
Weitere Kostenlose Bücher