Ripley Under Water
als sie ihren Mann am Sonntag morgen von Belle Ombre weggefahren hatte. »Adieu.«
Tom drehte sich um, ging zu seinem Auto, lief die letzten Meter. Ihm war danach, mit geballter Faust nach etwas zu schlagen, einem Baum, was auch immer. Auf der Fahrt nach Hause mußte er aufpassen, nicht zu stark Gas zu geben.
Zu seiner Erleichterung fand er die Haustür verschlossen. Héloïse öffnete ihm. Sie hatte Cembalo gespielt: Er sah ihre Partitur von Schuberts Liedern auf dem Notenständer.
»Herrgott noch mal!« fluchte Tom, gereizt bis zum äußersten, und stützte kurz den Kopf in beide Hände.
»Was war denn, chéri ?«
»Diese Frau ist verrückt! Und bedrückend ist es auch mit ihr. Schrecklich.«
»Was hat sie gesagt?« Héloïse blieb ruhig.
Leicht war sie nicht aus der Fassung zu bringen; Tom tat es gut, sie so gelassen zu sehen. »Wir haben Kaffee getrunken. Ich jedenfalls. Sie – na, du kennst ja diese Amerikaner.« Er zögerte. Immer noch glaubte er, daß er (und Héloïse) die Pritchards glatt ignorieren könnten. Warum dann Héloïse mit deren Macken beunruhigen? »Weißt du, Süße, die Leute langweilen mich oft. Manche jedenfalls. Und zwar so sehr, daß ich in die Luft gehen könnte. Pardon.« Bevor sie weiterfragen konnte, entschuldigte sich Tom und ging in die Toilette neben der Diele, wo er sich das Gesicht mit kaltem Wasser wusch, die Hände außerdem mit Seife und seine Nägel mit einer Bürste schrubbte. Bei Monsieur Roger Lepetit würde er bald in andere Stimmung kommen. Héloïse und er wußten bei ihm nie, wer zuerst an der Reihe war mit seiner halben Stunde – Monsieur Roger entschied sich spontan, indem er höflich lächelnd sagte: »Alors, Monsieur?«, oder: »Madame, s’il vous plaît?«
Ein paar Minuten später traf Lepetit ein, und nach den üblichen Artigkeiten – das Wetter, der schöne, gutgepflegte Garten – hob er seine plumpe Hand, deutete auf Héloïse und sagte mit einem kleinen Lächeln auf seinen rosigen Lippen: » Vous, Madame? Würden Sie gerne anfangen? Wollen wir?«
Tom hielt sich im Hintergrund; er war stehengeblieben. Héloïse störte seine Gegenwart nicht, wenn sie spielte. Er schätzte das, auch wenn ihm die Rolle des scharfen Kritikers zuwider war, zündete sich eine Zigarette an, stand hinter dem langen Sofa und betrachtete den Derwatt über dem Kamin. Nein, kein Derwatt, mahnte er sich, sondern eine Fälschung von Bernard Tufts, der Mann im Sessel: Rotbraun mit ein paar gelben Strichen und, wie bei allen Derwatts, mehrfache Umrisse, oft durch dunklere Pinselstriche konturiert, die manchem Betrachter angeblich Kopfschmerzen bereiteten. Aus einiger Entfernung wirkten die Bilder nahezu lebendig, fast als bewegten sie sich sachte. Der Mann im Sessel hatte ein bräunliches, affenartiges Gesicht, dessen Ausdruck man nachdenklich nennen könnte; die Züge waren allerdings alles andere als klar definiert. Die (trotz des Sessels) ruhelose, zweifelnde, sorgenvolle Stimmung war es, die Tom an dem Bild gefiel – und auch, daß es nicht echt war. In seinem Haus hing es an einem Ehrenplatz.
Der andere Derwatt im Wohnzimmer waren Die Roten Stühle, ein weiteres mittelgroßes Gemälde, das zwei kleine, etwa zehnjährige Mädchen zeigte, die angespannt auf Stühlen hockten, die Augen weit aufgerissen vor Angst. Wieder waren die rotgelben Formen der Stühle und der Gestalten dreifach, ja vierfach umrissen, und nach wenigen Sekunden (so dachte Tom, wenn er sich einen ersten Blick auf das Bild vorstellte) wurde dem Betrachter klar, daß den Hintergrund Flammen bildeten, so daß die Stühle lichterloh brennen könnten. Was war das Bild wohl heute wert? Eine sechsstellige Summe in Pfund, und zwar eine hohe. Vielleicht sogar noch mehr; kam darauf an, wer es versteigerte. Toms Versicherung stufte seine beiden Derwatts von Jahr zu Jahr höher ein. Doch Tom hatte nicht vor zu verkaufen.
Sollte es dem vulgären Pritchard gelingen, sämtliche Derwatt-Fälschungen auffliegen zu lassen, konnte er den Roten Stühlen natürlich trotzdem nichts anhaben, denn die waren alt und stammten aus London. Pritchard mochte auf seine ungeschickte Art bei ihm herumschnüffeln – großes Unheil konnte er einfach nicht anrichten, dachte Tom. Von Bernard Tufts hatte der Mann nie gehört. Franz Schuberts maßvolle, liebliche Klänge gaben Tom Kraft und neuen Mut, obwohl Héloïse nicht konzertreif spielte: Die Intention aber, der Respekt für den Komponisten, waren ebenso spürbar wie in Derwatts –
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