Ripley Under Water
richten Sie aus, daß Monsieur Thomas hier war, ja?… Nein, nicht nötig, Monsieur Pritchard weiß, wo er mich findet.«
Tom wandte sich zur Tür und sah im selben Moment Pritchard aus dem Lift treten, die Kamera am Riemen über der Schulter. Tom schlenderte auf ihn zu. »Tag, Mr. Pritchard!«
»Oh – hallo! Nette Überraschung.«
»Ja. Dachte, ich komme mal vorbei und sage guten Tag. Haben Sie kurz Zeit? Oder sind Sie verabredet?«
Überrascht (oder amüsiert?) riß Pritchard den Mund mit den fast dunkelroten Lippen auf. »Äh, nein. Klar, warum nicht?«
Warum nicht: anscheinend seine Lieblingsfloskel. Tom tat freundlich und ging zur Tür, mußte aber auf Pritchard warten, der noch seinen Schlüssel abgab.
»Gute Kamera«, bemerkte er, als der Amerikaner zu ihm kam. »Ich war vorhin an einem wunderschönen Ort, gar nicht weit weg an der Küste. Na, hier liegt ja alles an der Küste, nicht?« Er lachte ungezwungen.
Aus der klimatisierten Kühle wieder hinaus in die heiße Sonne. Kurz vor halb sieben.
»Wie gut kennen Sie Tanger?« Er war gern bereit, den Ortskundigen zu spielen. »La Haffa? Das ist der Ort mit der großartigen Aussicht. Oder ein Café?« Gleich hier in der Nähe, deutete seine Geste an, der kreisende Finger.
»Wie wär’s mit dem Ort, den Sie zuerst nannten? Dem mit der schönen Aussicht?«
»Vielleicht würde Janice gern mitkommen?« Tom blieb auf dem Gehweg stehen.
»Sie hat sich eben kurz hingelegt«, sagte Pritchard.
Nach ein paar Minuten fanden sie am Boulevard ein Taxi. Tom bat den Fahrer, sie nach La Haffa zu fahren.
»Ist die Brise nicht herrlich?« Er öffnete das Fenster einen Fingerbreit, ließ die Luft hereinströmen. »Sprechen Sie ein bißchen Arabisch? Oder den Berberdialekt?«
»Kaum«, erwiderte Pritchard.
Tom hätte ihm gern auch in dieser Hinsicht etwas vorgemacht. Pritchard trug weiße Schuhe mit einem Flechtmuster, das Luft durchließ – genau die Art, die er nicht ausstehen konnte. Komisch, alles an Pritchard störte ihn, selbst die Uhr mit dem elastischen Goldarmband, teuer und protzig, die Fassung aus Gold, sogar das Zifferblatt – die richtige Uhr für einen Zuhälter, dachte Tom. Da war ihm doch seine konservative Patek Philippe mit dem braunen Lederarmband, die alt und gediegen wirkte, unendlich viel lieber.
»Sehen Sie, ich glaube, da sind wir schon.« Wie üblich kam ihm die zweite Fahrt zum selben Ziel kürzer als die erste vor. Tom zahlte die zwanzig Dirham, trotz Pritchards Protesten, und sagte dem Fahrer, er solle nicht warten. »Hier gibt es Tee. Minztee. Vielleicht auch andere Sachen.« Tom lachte leise. Kif, Haschisch, war wohl zu haben, wenn man wollte.
Sie traten durch den steinernen Torbogen und gingen den Weg hinunter. Tom sah, daß einer der Kellner im weißen Hemd sie bemerkte.
»Was für eine Aussicht, nicht?« sagte Tom.
Die Sonne hing noch über dem Blau der Meerenge. Wenn man hinaus auf die See blickte, mochte man meinen, es gebe keinen Staub, nicht ein Körnchen, doch unter den Füßen sowie links und rechts des Weges lag eine dünne Schicht Sand und Staub, und auf den Steinplatten sah er Fetzen von handgeflochtenen Strohmatten. Die Pflanzen in der trockenen Erde dürsteten nach Wasser. Eine der Nischen, oder wie immer die abgeteilten Räume hießen, war gut gefüllt: Sechs Männer saßen dort oder lagen zurückgelehnt. Sie unterhielten sich lebhaft.
»Die da?« Tom zeigte auf eine andere Nische. »Nur damit wir bestellen können, wenn der Kellner kommt.«
Pritchard zuckte die Achseln und drehte an den Ringen seines Kameraobjektivs herum.
»Warum nicht?« Tom hatte gehofft, Pritchard damit zuvorzukommen, doch der sagte es im selben Moment.
Mit steinerner Miene hob Pritchard die Kamera und richtete das Objektiv auf das Wasser.
Der Kellner kam, ein leeres Tablett in der Hand, die lokker herabhing. Er war barfuß.
»Zwei Minztees, ja?« fragte Tom auf französisch.
»Oui.« Der Jüngling ging wieder.
Pritchard machte noch drei Fotos, bedächtig, den Rükken meist Tom zugewandt, der im Schatten des durchhängenden Dachs des Raumes stand. Dann drehte der andere sich um und sagte dünn lächelnd: »Auch eins von Ihnen?«
»Nein, danke«, entgegnete Tom liebenswürdig.
»Wollen wir dort sitzen?« fragte Pritchard und schlenderte in die sonnengesprenkelte Nische hinein.
Tom mußte auflachen, denn ihm war nicht nach Sitzen. Er zog die zusammengefaltete Dschellaba unter dem linken Arm hervor und legte sie auf den Boden. Die
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