Ripley Under Water
ich sie habe, weiß ich nicht mehr. Hat er in London gemacht. Sieh dir die Hand an.« Ed streckte den rechten Arm aus, hielt Arm und Hand so wie auf der Zeichnung, auf der eine rechte Hand einen schmalen, nur angedeuteten Pinsel führte. Der Maler näherte sich der Staffelei; der linke Fuß war durch einen dunkelgrauen Strich markiert – die Schuhsohle.
»Ein Mann geht an die Arbeit«, sagte Ed. »Macht mir Mut, dieses Bild.«
»Kann ich verstehen.« Auf der Schwelle drehte Tom sich um. »Ich muß los, die Zeichnungen ansehen, dann mit dem Taxi nach Heathrow. Ed, vielen Dank für die freundliche Aufnahme.«
Tom holte seinen Regenmantel und den kleinen Koffer. Auf den Nachttisch hatte er den Schlüssel gelegt, darunter zwei Zwanzigpfundnoten, für die Telefonate. Ed würde sie heute oder morgen finden.
»Wollen wir fest ausmachen, wann ich komme?« fragte Ed. »Morgen zum Beispiel? Brauchst es nur zu sagen, Tom.«
»Laß mich erst sehen, wie es drüben steht. Vielleicht ruf ich dich heute abend an. Falls nicht, keine Sorge. Ich sollte gegen sieben oder acht zu Hause sein – wenn alles gutgeht.«
An der Tür ein kräftiger Händedruck.
Tom ging zu einer Straßenecke, wo er hoffte, ein Taxi heranwinken zu können. Als er eines gefunden hatte, bat er den Mann, ihn zur Old Bond Street zu fahren.
Diesmal war Nick allein, als Tom eintraf, und stand vom Schreibtisch auf, an dem er einen Sotheby’s-Katalog durchgesehen hatte.
»Guten Morgen, Nick«, grüßte Tom freundlich. »Bin wieder da, wollte mir die Derwatt-Zeichnungen noch einmal anschauen. Geht das?«
Nick stand gerade und lächelte, als finde er diese Anfrage ungewöhnlich. »Ja, Sir. Hier entlang, bitte. Wie Sie ja wissen.«
Schon die erste Zeichnung, die Nick hervorzog, gefiel Tom: die Skizze einer Taube auf einem Fensterbrett mit Derwatts mehrfachen Konturlinien, die das Herumrucken des wachsamen Vogels andeuteten. Das Papier war vergilbt, aber hochwertig und vormals cremeweiß; dennoch zerfaserte es an den Rändern, was Tom aber gefiel. Die Zeichnung, Kohle und Rötel, steckte in einer durchsichtigen Plastikhülle.
»Und der Preis?«
»Hmm… Um die zehntausend, Sir. Ich müßte fragen.«
Tom sah sich noch weitere Arbeiten in der Mappe an: das geschäftige Treiben in einem Restaurant (nichtssagend, fand er), dann Bäume und eine Bank, anscheinend in einem Londoner Park. Nein, die Taube. »Wenn ich jetzt etwas anzahle und Sie mit Mr. Banbury sprechen?«
Am Schreibtisch stellte Tom einen Scheck über zweitausend Pfund aus und gab ihn Nick. »Schade, daß Derwatt sie nicht signiert hat. Der Namenszug fehlt einfach.« Tom war gespannt, was Nick darauf erwidern würde.
»Nun ja, Sir, das stimmt«, antwortete der junge Mann liebenswürdig. Fast hätte er auf den Fersen gewippt. »So war Derwatt eben, wie man mir sagte: Wirft spontan eine Skizze hin, denkt nicht an die Signatur, vergißt sie später, und nun ist er – nicht mehr unter uns.«
Tom nickte. »Richtig. Wiedersehen, Nick. Mr. Banbury hat meine Adresse.
»O ja, Sir. Kein Problem.«
Dann Heathrow – der Flughafen kam Tom jedesmal voller vor. Die Putzfrauen mit ihren Besen und den Abfalltonnen auf Rädern kamen im Kampf gegen die weggeworfenen Papierservietten und Flugticketumschläge offenbar nicht hinterher. Tom hatte Zeit, eine Schachtel mit sechs verschiedenen englischen Seifen zu kaufen, für Héloïse, sowie eine Flasche Pernod, für Belle Ombre.
Wann würde er Héloïse wiedersehen?
Dann holte er sich ein Klatschblatt, denn an Bord würde es solche Zeitschriften nicht geben. In der ersten Klasse, nach Hummer zum Mittag und Weißwein, schlief Tom auf seinem Sitz ein und erwachte erst, als die Stewardeß ihn bat, sich anzuschnallen. Unter ihnen dehnte sich der ordentliche Flickenteppich französischer Felder, hellgrün, dunkelgrün und braun. Die Maschine legte sich schräg. Tom fühlte sich deutlich gestärkt und zu allem – fast allem – bereit. In London war ihm am Morgen der Gedanke gekommen, zum Zeitungsarchiv zu fahren, wo das auch sein mochte, und nach David Pritchard zu suchen – so wie der das laut seiner Frau in den Staaten getan hatte, Tom Ripley betreffend. Doch was für Meldungen würde er über David Pritchard finden, wenn der Mann überhaupt wirklich so hieß? Missetaten einer verwöhnten Jugend? Bußgelder wegen zu schnellen Fahrens? Drogenvergehen mit achtzehn? Kaum wert, zu den Akten genommen zu werden, selbst in Amerika, und in England oder Frankreich
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