Ripley Under Water
kann sein. Danke für Ihren Anruf, Mr. Ripley!«
»Wiederhören.« Er legte auf.
Was für ein Irrenhaus! Die beiden bald wiedersehen! »Wir« hatte er gerade gesagt, als ob Héloïse schon zurück wäre. Aber warum nicht? Das könnte Pritchard zu weiteren waghalsigen Abenteuern verleiten. Auf einmal überkam Tom das Verlangen, den Mann zu ermorden. Es war nicht viel anders als damals sein Wunsch, die Mafia hart zu treffen, doch das war unpersönlich gewesen: Er haßte die Mafia an sich, hielt sie für brutale, gut organisierte Erpresser. Welchen Mafiamann er umbrachte (zwei waren es damals gewesen), war ihm egal – zwei weniger, das zählte. Aber Pritchard, das war etwas Persönliches – er hatte sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und es nicht anders gewollt. Ob Janice helfen könnte? Zähl nicht auf sie, mahnte sich Tom: Im letzten Moment würde sie ihn im Stich lassen und ihren Mann retten, vermutlich um in den Genuß weiterer geistiger und körperlicher Unannehmlichkeiten zu kommen, die Pritchard ihr bereiten würde. Warum hatte er den Kerl nicht schon in La Haffa fertiggemacht, als sein neues Messer griffbereit in der Hosentasche steckte?
Womöglich mußte er beide Pritchards beseitigen, um seine Ruhe zu haben. Tom zündete sich eine Zigarette an. Es sei denn, sie beschlössen wegzuziehen.
Calvados und der café: Tom leerte die Tasse bis auf den letzten Tropfen und brachte sie und die Untertasse in die Küche zurück. Dort sah er auf einen Blick, daß Madame Annette bis zum Anrichten noch mindestens fünf Minuten brauchen würde, also sagte er ihr, er wolle noch ein Telefongespräch führen.
Dann rief er die Grais’ an. Die Nummer wußte er auswendig.
Agnès meldete sich. Nach dem Klappern und Klirren im Hintergrund zu schließen hatte er sie anscheinend mitten beim Essen gestört.
»Ja, bin seit heute aus London zurück. Ich störe wohl.«
»Nein, Silvie und ich räumen bloß ab. Ist Héloïse bei Ihnen?« fragte Agnès.
»Sie ist noch in Nordafrika. Ich wollte nur sagen, daß ich zurück bin. Keine Ahnung, wann Héloïse kommt. Wußten Sie übrigens, daß Ihre Nachbarn, die Pritchards, das Haus gekauft haben?«
»Oui!« rief Agnès sofort und erzählte ihm, das habe sie von Marie im bar-tabac erfahren. »Und dieser Lärm, Tomme !« fuhr sie fort, nicht ohne Amüsement in der Stimme. »Ich glaube, Madame ist zur Zeit allein, doch sie spielt laute Rockmusik bis spät in die Nacht, ha, ha! Ob sie allein dazu tanzt?«
Oder sich unanständige Videos ansieht? Tom mußte blinzeln. »Keine Ahnung«, erwiderte Tom lächelnd. »Das dringt bis zu Ihnen?«
»Wenn der Wind richtig steht, ja! Nicht jede Nacht, das sicher nicht, aber am letzten Sonntag war Antoine richtig wütend. Allerdings nicht wütend genug, um hinüberzugehen und für Ruhe zu sorgen. Und ihre Telefonnummer konnte er nicht finden.« Wieder lachte sie.
Agnès und Tom verabschiedeten sich freundlich, ja herzlich voneinander, wie gute Nachbarn. Dann nahm er sein einsames Mahl ein, eine Zeitschrift vor sich aufgestützt. Während er den ausgezeichneten Rinderschmorbraten verzehrte, hatte er im Geiste an den Pritchards zu kauen, den beiden Nervensägen. Womöglich war der Mann bereits wieder da, und zwar mit Angelgerät bewaffnet. Um nach Murchison zu fischen? Warum war er darauf nicht gleich gekommen? Die Leiche.
Tom blickte von der Seite auf, die er gerade gelesen hatte, lehnte sich zurück, tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab. Angelgerät? Es bräuchte einen Dregganker, ein starkes Tau und mehr als nur ein Ruderboot – es bräuchte mehr, als am Ufer eines Flusses oder Kanals mit einer zerbrechlichen Angelrute zu stehen, wie das manche Einheimische taten, die mit ein bißchen Glück kleine weiße, vermutlich eßbare Fische fingen. Würde Pritchard, der laut Janice genug Geld hatte, ein schickes Motorboot kaufen? Oder gar einen Helfer anheuern?
Andererseits könnte er völlig danebenliegen, dachte Tom: Vielleicht angelte David Pritchard wirklich nur gern.
Als letzte Tat an diesem Abend adressierte Tom einen Briefumschlag an seine Filiale der National Westminster Bank, weil er von seinem Guthaben Geld auf das Girokonto umbuchen lassen mußte, um den 2.000-Pfund-Scheck zu decken. Der Umschlag neben seiner Schreibmaschine würde ihn morgen früh an den Brief erinnern.
15
Am nächsten Morgen, nach dem ersten Kaffee, trat Tom auf die Terrasse hinaus und ging in den Garten. Nachts hatte es geregnet; die Dahlien sahen gut aus, er
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