Ripley Under Water
völlig unerheblich. Dennoch seltsam, der Gedanke, daß Pritchard aktenkundig sein könnte, weil er mit fünfzehn einen Hund zu Tode gequält hatte – in London könnte solch ein widerliches Körnchen Wissen womöglich auftauchen, falls die Informationsmühlen der Computer fein genug mahlten und es erfaßten. Tom spannte sich an, als die Maschine weich aufsetzte und abbremste. Seine eigene Akte – nun, alles in allem wohl eine Liste interessanter Verdachtsmomente. Aber keine Verurteilung.
Hinter der Paßkontrolle ging Tom zur nächsten Telefonzelle und rief in Belle Ombre an.
Beim achten Klingeln hob Madame Annette ab. »Ah, Monsieur Tomme! Où êtes-vous?«
»Am Flughafen Roissy. Wenn ich Glück habe, bin ich in zwei Stunden zu Hause. Alles in Ordnung?«
Ja, versicherte Madame Annette, wie immer.
Dann ein Taxi nach Belle Ombre. Tom drängte es zu sehr, nach Hause zu kommen, um sich darum zu scheren, ob der Fahrer ein auffälliges Interesse an seiner Adresse zeigte. Es war sonnig und warm; Tom ließ die Fensterscheiben auf beiden Seiten einen Spalt weit herunter und hoffte, der Mann würde sich nicht über den courant d’air beschweren (was die Franzosen gern schon beim lauesten Lüftchen taten). Er dachte nach, über London, über Nick, den jungen Mann, über Jeffs und Eds bereitwilliges Angebot, notfalls zu helfen. Und was tat Janice Pritchard wohl gerade? Inwieweit half sie ihrem Mann, indem sie ihn deckte, und wie oft triezte sie ihn deswegen, indem sie ihn versetzte oder im Stich ließ, wenn er sie brauchte? Janice war eine tickende Zeitbombe, ein absurdes Wort für einen so zerbrechlichen Menschen.
Madame Annettes Ohren waren noch gut genug für das Knirschen der Räder auf dem Kies, denn sie hatte die Haustür geöffnet und stand auf dem Absatz der Steintreppe, noch bevor das Taxi hielt. Tom zahlte, gab dem Fahrer ein Trinkgeld und ging mit dem Koffer zur Tür.
» Non, non , den trage ich selber!« sagte er. »Was wiegt der schon?«
Madame Annette würde ihre alten Gewohnheiten niemals ablegen, etwa die, auch die schwersten Koffer tragen zu wollen, weil sich das für eine Haushälterin so gehörte.
»Hat Madame Héloïse angerufen?«
»Non, Monsieur.«
Eine gute Nachricht, dachte Tom. Er trat in die Diele und sog den Duft von alten Rosenblüten oder dergleichen ein; nach Lavendel roch es allerdings nicht gerade, was ihn daran erinnerte, daß das Wachs im Koffer steckte.
»Tee, Monsieur Tomme ? Oder café ? Einen Drink mit Eis?« Dabei hängte sie seinen Regenmantel auf.
Tom zögerte, ging ins Wohnzimmer, warf einen Blick durch die Flügelfenster auf den Rasen des Gartens: »Ja gut, einen Kaffee. Und auch einen Drink, keine Frage.« Kurz nach sieben. »Ich glaube, zuerst werde ich kurz duschen.«
» Oui, Monsieur. – Oh, Madame Berthelin hat angerufen. Gestern abend. Ich sagte ihr, Madame und Sie wären verreist.«
»Merci«, sagte Tom. Jacqueline und Vincent Berthelin wohnten ein paar Kilometer weiter im nächsten Dorf. »Danke, ich werde zurückrufen.« Er ging zur Treppe. »Sonst keine Anrufe?«
»Non… Je ne croix pas.«
»In zehn Minuten komm ich herunter. Ach, aber zuerst…« Tom legte den Koffer flach auf den Boden, öffnete ihn und zog die Plastiktüte mit den Wachsdosen hervor. »Ein Geschenk für das Haus, Madame!«
»Ah, cirage de lavande! Toujours bienvenu. Merci!«
Zehn Minuten später war Tom wieder unten. Er hatte sich umgezogen und war in Segeltuchschuhe geschlüpft. Zur Abwechslung entschied er sich für einen kleinen Calvados zum Kaffee. Madame Annette ging nicht gleich; sie wollte sicher sein, daß er mit dem vorbereiteten Abendessen zufrieden war (obwohl Tom nie etwas auszusetzen hatte). Ihre Beschreibung des Menüs vergaß er sofort wieder, denn er dachte an den Anruf bei Janice Pritchard, der tikkenden Zeitbombe.
»Klingt äußerst verlockend«, sagte er höflich. »Ich wünschte nur, Madame Héloïse könnte dabeisein.«
»Und wann kommt Madame zurück?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Tom. »Aber sie amüsiert sich ja, mit einer guten Freundin.«
Dann war er allein. Janice Pritchard: Er stand vom gelben Sofa auf, schlenderte betont langsam in die Küche und sagte zu Madame Annette: »Und Monsieur Pritchard? Kommt er nicht heute nach Hause?« Möglichst beiläufig, wie die Frage nach einem x-beliebigen Nachbarn, einem Bekannten, der noch kein Freund war. Er ging sogar demonstrativ zum Kühlschrank, um sich ein Stück Käse zu holen, etwas zum Knabbern –
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