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Ripley Under Water

Ripley Under Water

Titel: Ripley Under Water Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Blick geworfen hatte: schmutziges blaugrünes Wasser, das an diesem Tag jedenfalls etliche Meter unterhalb des weichen Grases der Uferböschung stand. Wer an die Kante jener Böschung träte, würde unweigerlich das Gleichgewicht verlieren und ins Wasser rutschen.
    Und warum in Drei Teufels Namen sollte David Pritchard ausgerechnet auf Voisy verfallen, wenn es viel näher bei Villeperce noch zwanzig, dreißig Kilometer Flüsse und Kanäle gab?
    Zurück zu Hause zog er das Hemd und die Jeans aus und legte sich kurz schlafen. Er fühlte sich sicherer, nicht mehr so angespannt. Als Tom nach einer erquickenden Dreiviertelstunde erwachte, spürte er, daß er die Belastungen von Tanger abgeschüttelt hatte, die Angst nach den Gesprächen mit Cynthia und die Furcht vor Pritchard, der nun womöglich ein Boot besaß. Tom ging in den Raum, der für ihn »hinten rechts in der Ecke« von Belle Ombre lag und ihm als Atelier oder Arbeitszimmer diente.
    Das schöne alte Eichenparkett war noch gut erhalten, wenn auch nicht auf Hochglanz gebohnert wie anderswo im Haus. Tom hatte auf dem Boden ein paar Meter alten Segeltuchs ausgelegt; er fand das dekorativ, außerdem verhinderte es Flecken auf dem Boden, sollte die Farbe tropfen, und diente als Putzlappen, wenn er einen Pinsel abwischen oder reinigen wollte.
    Die Taube – wo sollte er diese vergilbte Zeichnung aufhängen? Doch wohl im Wohnzimmer, um ihren Anblick mit Freunden zu teilen.
    Toms Blick ruhte auf einem seiner Bilder, das an der Wand lehnte: Madame Annette im Stehen, Tasse und Untertasse in der Hand – seinen Morgenkaffee. Tom hatte dafür zuerst Skizzen angefertigt, damit sie nicht müde wurde. Madame Annette hatte ein purpurrotes Kleid mit weißer Schürze getragen. Dann ein Bild von Héloïse: Sie schaute aus dem runden Erkerfenster in seinem Atelier, die Rechte auf den Fensterrahmen, die Linke in die Hüfte gestützt. Auch hierfür hatte er Entwürfe gezeichnet, denn Héloïse stand nicht gern länger als zehn Minuten Modell.
    Sollte er eine Landschaft malen, den Ausblick von seinem Fenster? Zuletzt hatte er sich vor drei Jahren an dem dichten, grünen Wald hinter seinem Anwesen versucht, dort wo Murchisons Leiche ihre erste Ruhestätte gefunden hatte – keine schöne Erinnerung. Tom zwang sich, wieder an das Bild zu denken. Ja, er würde es versuchen; erste Skizzen morgen früh, rechts und links im Vordergrund die schönen Dahlien, dahinter die hell- und dunkelroten Rosen. Aus diesem idyllischen Anblick könnte man etwas Hübsches, Kitschiges machen. Das aber wollte er nicht. Vielleicht würde er diesmal nur mit dem Palettmesser arbeiten.
    Tom ging nach unten, nahm sein weißes Baumwolljakkett aus dem Schrank in der Diele – er trug es vor allem für die Brieftasche – und schlenderte in die Küche, wo seine Haushälterin bereits zugange war. »Schon bei der Arbeit, Madame? Ist noch vor fünf.«
    »Die Pilze, Monsieur. Ich will sie vorher putzen.« Ein kurzer Blick aus ihren hellblauen Augen, ein Lächeln. Madame Annette stand an der Spüle.
    »Ich gehe kurz ins Dorf, für eine halbe Stunde. Brauchen Sie etwas?«
    »Oui, Monsieur – Le Parisien Libéré, s’il vous plaît.«
    »Mit Vergnügen, Madame.« Er ging.
    Bevor er es vergaß, kaufte er die Zeitung im bar-tabac. Eigentlich war noch nicht Feierabend, doch herrschte schon reger Betrieb – jemand rief: » Un petit rouge, Georges!« –, und Marie kam langsam in Fahrt für den Abend. Sie stand ganz links hinter der Theke und winkte ihm zu. Tom sah sich suchend nach Pritchard um, ganz kurz nur, entdeckte ihn aber nicht. Der Mann wäre aufgefallen – größer als die meisten, runde Nickelbrille, starrer Blick, abseits der anderen stehend.
    Tom stieg wieder in den roten Mercedes, fuhr in Richtung Fontainebleau und bog an der nächsten Kreuzung ohne besonderen Grund links ab. Was wohl Héloïse gerade tat? Ob sie in Casablanca mit Noëlle zum Hotel Miramare zurückspazierte, beide mit Plastiktüten und soeben erstandenen Körben, die mit den Nachmittagseinkäufen gefüllt waren? Sprachen sie davon, vor dem Abendessen zu duschen und sich hinzulegen? Sollte er versuchen, Héloïse um drei Uhr morgens anzurufen?
    Als er Villeperce ausgeschildert sah, bog er ab und fuhr zurück – acht Kilometer bis zu seinem Dorf. Er bremste und hielt für eine Bauerntochter, die ihre Gänse mit einem langen Stock über die Straße trieb: Schön, dachte Tom, drei weiße Gänse auf dem Weg zu ihrem Ziel, aber unbeeindruckt und

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