Ripley Under Water
immer, beim Bäcker wie beim Fleischer, und da sich Bäcker und Fleischer daran beteiligten, ging es nur langsam voran. Aber je länger man blieb, desto mehr erfuhr man.
Schließlich sagte Tom: »Sicher könnte man hochinteressante Dinge vom Grund dieser Kanäle und Flüsse heraufholen. Sie wären überrascht, wenn Sie wüßten, was ich alles auf der örtlichen décharge publique gefunden habe – bevor die verdammten Behörden die Deponie geschlossen haben. Das war so gut wie eine Kunstausstellung. Alte Möbel! Manche müßten bestimmt ein bißchen restauriert werden, aber die Eisenkrüge neben meinem Kamin sind noch wasserdicht – spätes neunzehntes Jahrhundert! Von der décharge publique. « Er lachte. Die Mülldeponie war ein Feld neben einer Straße hinter Villeperce, wo man früher zerbrochene Stühle, ausrangierte Kühlschränke und alles, was alt war, entsorgen konnte, so auch Bücher, von denen Tom etliche gerettet hatte. Jetzt war das Feld durch einen Stacheldrahtzaun abgesperrt und mit einem Schloß gesichert: Das war der Fortschritt.
»Es heißt, er sammelt nichts«, sagte Agnès, als sei ihr das gleichgültig. »Irgendwer meinte, daß er Eisenteile herausholt und wieder zurückwirft. Nicht sehr nett von ihm. Er sollte sie wenigstens ans Ufer bringen, wo sie die Müllabfuhr aufsammeln kann. Damit würde er seiner Kommune einen Dienst erweisen.« Sie lächelte. »Noch einen kleinen Calvados, Tomme ?«
»Nein danke, Agnès. Ich muß gehen.«
»Aber wieso? Zurück in das menschenleere Haus? Um dort zu arbeiten? Ja, ich weiß, Tomme, daß Sie sich allein beschäftigen können – die Malerei, Ihr Cembalo –«
» Unser Cembalo«, unterbrach er sie. »Es gehört Héloïse und mir gemeinsam.«
»Stimmt.« Agnès schüttelte den Kopf und sah ihn an: »Aber Sie wirken ein bißchen angespannt. Als müßten Sie sich zwingen, nach Hause zu gehen. Na gut – ich hoffe, Héloïse ruft Sie an.«
Tom war aufgestanden, er lächelte. »Wer weiß?«
»Aber Sie wissen, daß Sie hier stets willkommen sind, zum Essen oder auch nur so.«
»Und Sie wissen, daß ich vorher lieber anrufe«, erwiderte Tom ebenso liebenswürdig. Es war ein Wochentag; Antoine Grais würde nicht vor Freitag abend oder Samstag mittag zurückkehren. Und jeden Moment könnten die Kinder aus der Schule kommen. » Au revoir, Agnès. Vielen Dank auch für den netten Espresso mit Schuß.«
Sie begleitete ihn zur Küchentür. »Sie schauen ein wenig traurig aus. Vergessen Sie nicht, wir hier sind alte Freunde.« Sie tätschelte seinen Arm, er ging zum Wagen.
Durch das Seitenfenster winkte Tom ihr noch einmal zu, dann setzte er zurück auf die Straße, kurz bevor der entgegenkommende gelbe Schulbus hielt und Edouard und Sylvie Grais ausstiegen.
Er mußte an Madame Annette denken, die bald Urlaub hatte. Es war Anfang September: Sie nahm ihn nicht gern im August, dem traditionellen Ferienmonat der Franzosen, weil dann, so sagte sie, zuviel Verkehr die Straßen verstopfe, wenn sie irgendwohin wolle; außerdem hätten im August die anderen Haushälterinnen des Dorfes mehr freie Zeit als sonst, da ihre Arbeitgeber häufig verreist seien, deshalb bleibe ihren Freundinnen und ihr mehr Zeit für Besuche.
Sollte er Madame Annette dennoch vorschlagen, in Urlaub zu fahren, falls sie das wollte? Schon aus Sicherheitsgründen? Er wollte nicht, daß sie alles im Dorf sah oder hörte – alles hatte seine Grenzen.
Tom merkte, daß er sich Sorgen machte, und fühlte sich schwächer, weil er das merkte. Er würde etwas tun müssen gegen dieses Gefühl, je eher, desto besser.
Er beschloß, Jeff oder Ed anzurufen – beide schienen ihm jetzt gleichermaßen nützlich. Er brauchte einen Freund in seiner Nähe, falls nötig, eine helfende Hand (oder einen ganzen Arm). Schließlich hatte auch Pritchard in Teddy einen Helfer.
Was würde der Junge sagen, falls Pritchard Beute machte? Und überhaupt: Was genau hatte ihm Pritchard als Ziel seiner Suche genannt?
Tom, der im Wohnzimmer auf und ab schlenderte, krümmte sich auf einmal vor Lachen und wäre beinah gestolpert: Dieser Teddy, der Musikstudent (wenn er das war), würde vielleicht eine Leiche finden!
In diesem Augenblick kam Madame Annette herein. »Ah, Monsieur Tomme, ich bin so froh, Sie bei guter Laune zu sehen!«
Sicher war er vor Lachen puterrot angelaufen. »Mir ist eben ein guter Witz wieder eingefallen… Nein, nein, Madame, hélas – auf französisch funktioniert er nicht gut.«
18
Kurz darauf
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