Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
Wohnung habe ich einen schönen Blick auf die Alster, beziehungsweise die Außenalster. Morgen sehen Sie mehr davon.«
    In einem modernen Lift fuhren sie nach oben. Karl trug Jonathans Koffer, klingelte, und eine Frau mittleren Alters in schwarzem Kleid und weißer Schürze öffnete die Tür.
    »Das ist Gaby«, sagte Wister zu Jonathan. »Sie hilft im Haushalt. Eigentlich arbeitet sie für eine andere Familie im Haus und schläft auch dort, aber ich sagte ihr, wir bräuchten heute abend vielleicht etwas zu essen. Gaby: Herr Trevanny aus Frankreich.«
    Die Frau begrüßte ihn zuvorkommend und nahm ihm den Mantel ab. Ihr Gesicht war rund und weich, wie ein Pudding, und sie sah aus wie die Gutmütigkeit in Person.
    [83]  »Dort können Sie sich frischmachen, wenn Sie wollen.« Wister deutete auf das Badezimmer. Das Licht brannte schon. »Ich hole Ihnen einen Scotch. Haben Sie Hunger?«
    Als er aus dem Badezimmer kam, saß Wister in dem großen, quadratischen, von vier Lampen erleuchteten Wohnzimmer auf dem Sofa und rauchte eine Zigarre. Zwei Scotch standen vor ihm auf dem Couchtisch. Sofort kam auch Gaby und brachte ein Tablett mit Schnittchen und einem runden, gelben Käselaib.
    »Ach, Gaby, vielen Dank.« Zu Jonathan sagte er: »Es ist spät für sie, doch als ich ihr sagte, ich würde einen Gast erwarten, wollte sie unbedingt noch bleiben und die Sandwiches servieren.« Trotz dieser gutgelaunten Bemerkung lächelte er nicht, sondern runzelte die Stirn, während die Haushälterin den Tisch mit Tellern und Tafelsilber deckte. Als Gaby gegangen war, fuhr er fort: »Geht es Ihnen gut? Also, das wichtigste ist, daß Sie sich einem Spezialisten vorstellen. Ich denke da an einen guten Mann, Dr.   Heinrich Wentzel, einen Hämatologen am Eppendorfer Krankenhaus, dem größten der Stadt. Weltberühmt, der Mann. Ich habe morgen um zwei einen Termin für Sie vereinbart, wenn Ihnen das paßt.«
    »Sicher. Vielen Dank«, sagte Jonathan.
    »Dann können Sie sich erst mal richtig ausschlafen. Ihrer Frau hat es doch hoffentlich nicht zuviel ausgemacht, daß Sie so mir nichts, dir nichts abgereist sind? Andererseits ist es schließlich nur klug, bei einem ernsten Leiden mehr als einen Arzt zu Rate zu ziehen…«
    Jonathan hörte gar nicht richtig zu. Er war halb benommen, auch die Einrichtung verwirrte ihn, die so durch und [84]  durch deutsch war. Und daß er überhaupt zum erstenmal in Deutschland war. Die Einrichtung war konventionell, die Möbel waren eher modern als antik, nur an der Wand ihm gegenüber stand ein schöner Biedermeier-Sekretär. Sonst überall an den Wänden niedrige Regale mit Büchern, vor den Fenstern lange, grüne Vorhänge und in den Ecken Lampen, die ein angenehmes Licht warfen. Ein Humidor aus tiefrotem Holz stand offen auf dem gläsernen Couchtisch, in den Fächern diverse Zigarren und Zigaretten. Ein weißer Kamin mit Messingzubehör, in dem noch kein Feuer brannte. Über dem Kamin ein interessantes Bild, sah aus wie ein Derwatt. Und wo war Minot? Vermutlich war Wister Reeves Minot. Ob der Mann es ihm sagen würde? Oder sollte er selbst darauf kommen? Jonathan dachte auf einmal daran, daß Simone und er das ganze Haus weiß streichen oder tapezieren sollten. Und daß er sie von der Idee abbringen mußte, Jugendstiltapeten wären das Richtige für das Schlafzimmer. Wenn sie mehr Licht wollten, war Weiß die logische –
    »Vielleicht haben Sie ja schon über den anderen Vorschlag nachgedacht«, sagte Wister mit seiner sanften Stimme. »Den ich in Fontainebleau erwähnte.«
    »Bedauere, aber ich habe meine Meinung nicht geändert«, erwiderte Jonathan. »Womit ich Ihnen sechshundert Franc schulde.« Er lächelte gezwungen. Der Scotch wirkte schon, nervös trank er noch einen Schluck. »Ich kann Ihnen das Geld binnen drei Monaten zurückzahlen. Das Wichtigste ist für mich jetzt der Facharzt. Alles andere kommt später.«
    »Selbstverständlich«, sagte Wister. »Und vergessen Sie das mit der Rückzahlung. Das ist Unsinn.«
    [85]  Jonathan wollte nicht widersprechen, doch er spürte etwas wie Scham. Vor allem aber hatte er das merkwürdige Gefühl, zu träumen oder jemand anders zu sein. Das ist nur, weil hier alles so fremd ist, dachte er.
    »Dieser Italiener, den wir ausschalten wollen, hat einen Beruf wie jeder andere.« Wister verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schaute zur Decke hinauf. »Ha, sehr lustig! Er tut nur so, als ginge er einer geregelten Arbeit nach. Hängt in den Clubs um die

Weitere Kostenlose Bücher