Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
erwähnt. Aber das war der Anfang, genau wie er gestern abend gedacht hatte: Wenn er Wisters Plan ausführen sollte, durfte er hier nicht mehr wohnen. Dennoch war er froh, in ein paar Stunden Wisters Wohnung verlassen zu können.
Mittags erschien ein Freund oder Bekannter von Wister, ein Mann namens Rudolf, jung, schlank, glattes schwarzes Haar. Er war nervös und höflich. Wister stellte ihn als Medizinstudenten vor. Offenbar sprach er kein Englisch. Er erinnerte Jonathan an Franz Kafka. Alle drei stiegen in den Wagen, und Karl chauffierte sie zu Jonathans Hotel. Alles hier sah so neu aus, verglichen mit Frankreich, doch dann [89] fiel ihm ein, daß die Bomben damals Hamburg dem Erdboden gleichgemacht hatten. Der Wagen hielt in einer Geschäftsstraße, vor dem Hotel Viktoria.
»Im Hotel sprechen alle Englisch«, sagte Wister. »Wir warten hier auf Sie.«
Jonathan ging hinein. Ein Page nahm ihm an der Tür den Koffer ab. Er zückte seinen britischen Paß und trug die Nummer in das Anmeldeformular ein. Dann bat er darum, ihm den Koffer aufs Zimmer zu bringen. Das hatte Wister ihm geraten. Augenscheinlich ein Hotel der mittleren Preisklasse.
Dann fuhren sie zu einem Restaurant. Karl würde nicht mitessen. Vor dem Mittagessen tranken sie zu dritt eine Flasche Wein, und Rudolf entspannte sich. Er sprach deutsch, Wister übersetzte ein paar seiner scherzhaften Bemerkungen. Jonathan dachte daran, daß er um zwei im Krankenhaus sein mußte.
»Reeves –« Rudolf brach ab.
Jonathan meinte, das von ihm schon einmal gehört zu haben. Diesmal hatte er sich nicht verhört. Wister, oder Minot, nahm es gelassen. Jonathan ebenfalls.
»Anämie?« fragte ihn Rudolf.
»Schlimmer.« Jonathan lächelte.
Minot übersetzte das und redete mit Rudolf auf deutsch weiter. Sein Deutsch kam Jonathan nicht weniger unbeholfen vor als sein Französisch, aber wahrscheinlich kam er damit genauso gut durch.
Das Essen war ausgezeichnet, die Portionen gewaltig. Reeves hatte seine eigenen Zigarren mitgebracht, doch bevor sie fertiggeraucht hatten, mußten sie aufbrechen.
[90] Das Krankenhaus, ein riesiger Gebäudekomplex, war umgeben von Bäumen und Wegen mit Blumenrabatten. Wieder fuhr Karl sie. Jonathan mußte in einen Flügel des Krankenhauses, der an ein futuristisches Labor erinnerte: Zimmer links und rechts eines Korridors, wie in einem Hotel, nur daß in diesen Zimmern vollverchromte Stühle und Betten standen und jeder Raum von bläulich fluoreszierenden oder andersfarbigen Leuchten erhellt wurde. Es roch nicht nach Desinfektionsmittel, sondern nach einem unheimlichen Gas, ähnlich wie damals vor fünf Jahren, als Jonathan unter der Bestrahlungskanone gelegen hatte, die gegen die Leukämie so wirkungslos gewesen war. Einer dieser Orte, wo sich Laien bedingungslos allwissenden Spezialisten ausliefern, dachte Jonathan, und sofort wurde ihm so flau, daß er hätte umfallen können. Er ging über einen scheinbar endlos langen Korridor, der den Schall seiner Schritte schluckte, neben sich Rudolf, der bei Bedarf für ihn übersetzen sollte. Reeves war mit Karl im Auto geblieben, doch wußte Jonathan weder, ob sie warten würden, noch wie lange die Untersuchung dauern dürfte.
Dr. Wentzel war ein massiger Mann mit grauem Haar und buschigem Schnauzbart. Er sprach etwas Englisch, versuchte sich aber gar nicht erst an langen Sätzen. »Wie lange?« Sechs Jahre. Er stellte Jonathan auf die Waage, fragte ihn, ob er in letzter Zeit Gewicht verloren habe, bat ihn, den Oberkörper frei zu machen und tastete seine Milz ab. Dabei murmelte der Arzt die ganze Zeit über halblaut auf deutsch vor sich hin, während eine Schwester sich Notizen machte. Er maß Jonathans Blutdruck und hob seine Augenlider, ließ Urin- und Blutproben nehmen. [91] Schließlich gewann er aus Jonathans Brustbein die Knochenmarkprobe, und zwar mit einem Instrument ähnlich einem Lochstanzer, das schneller und schmerzärmer arbeitete als Dr. Perriers Sonde. Die Ergebnisse, sagte er, könne Jonathan morgen früh erfragen. Die Untersuchung hatte nur eine Dreiviertelstunde gedauert.
Jonathan und Rudolf verließen das Krankenhaus. Der Wagen stand zusammen mit anderen Autos auf einem Parkplatz ein paar Meter weiter.
»Wie war’s? Wann bekommen Sie die Ergebnisse?« fragte Reeves. »Wollen Sie lieber mit zu mir zurück oder in Ihr Hotel?«
»Lieber ins Hotel, bitte.« Erleichtert sank Jonathan in eine Ecke der Rückbank.
Rudolf lobte Wentzel gegenüber Reeves offenbar
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