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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Nachmittag, Sir?«
    Während der Unterhaltung stellte Jonathan fest, daß Karl im Englischen über einen bemerkenswert großen Wortschatz verfügte. Wie viele Fremde er wohl schon für Reeves herumgefahren hatte? Welche Art von Geschäften machte der Mann Karls Meinung nach? Vielleicht war ihm das schlicht und einfach egal. Welchem Geschäft ging Reeves eigentlich offiziell nach?
    Karl hielt wieder oben am Ende der Auffahrt, doch diesmal fuhr Jonathan allein mit dem Aufzug in den zweiten Stock.
    Reeves Minot, in Pullover und grauer Flanellhose, begrüßte ihn an der Tür. »Kommen Sie herein! Haben Sie sich einen ruhigen Nachmittag gemacht?«
    Sie tranken Scotch. Der Tisch war für zwei gedeckt. Anscheinend würden sie heute abend zu zweit essen.
    »Ich möchte Ihnen ein Foto von dem Mann zeigen, den [95]  ich meine.« Reeves drückte seinen schlaksigen Körper aus dem Sofa hoch und ging zu dem Biedermeiersekretär. Aus einer Schublade nahm er zwei Fotos. Das eine zeigte den Mann von vorn, das andere im Profil zusammen mit anderen, die sich über einen Tisch beugten. Einen Roulettetisch.
    Jonathan betrachtete das Foto, das den Mann von vorne zeigte, so klar und deutlich wie auf einem Paßbild: um die Vierzig, mit dem kantigen, fleischigen Gesicht, das sich bei Italienern so oft fand, erste Falten von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln, dicke Lippen. Etwas Mißtrauisches, fast Erschrockenes im Blick der dunklen Augen, doch da war auch ein dünnes Lächeln, als wolle er sagen: »Komm schon, was hab ich verbrochen?« Salvatore Bianca, bemerkte Reeves.
    Er zeigte auf das Gruppenbild. »Das hier wurde vor ungefähr einer Woche in Hamburg aufgenommen. Er spielt selber gar nicht, schaut nur zu. Einer der seltenen Momente, wenn er auf den Spieltisch sieht… Bianca hat bestimmt eigenhändig ein halbes Dutzend Leute umgelegt, sonst hätte er es nicht mal zum Fußsoldaten gebracht. Aber als Mafiamann ist er nicht weiter wichtig. Leicht ersetzbar. Verstehen Sie, wir wollen die Sache nur ins Rollen bringen…« Reeves redete weiter, während Jonathan sein Glas leerte und neu eingeschenkt bekam. »Bianca trägt stets einen Hut – draußen, meine ich. Einen Homburg. Und für gewöhnlich einen Tweedmantel…«
    Reeves besaß einen Plattenspieler. Jonathan hätte gern Musik gehört, fand es aber unhöflich zu fragen, obwohl er den Mann schon vor sich sah, wie er zur Stereoanlage [96]  stürzte und genau die Musik auflegte, die sein Gast hören wollte. Irgendwann unterbrach Jonathan den Redefluß: »Wie soll ich einen ganz gewöhnlichen Mann mit aufgestelltem Matelkragen, den Hut tief in die Stirn gezogen, von zwei Fotos her in einer Menschenmenge wiedererkennen?«
    »Ein Freund von mir wird zusammen mit Bianca an der U-Bahn-Station Rathaus zusteigen und bis Meßberg mitfahren, das ist die nächste und einzige Station vor Steinstraße. Schauen Sie, hier!«
    Wieder war Reeves nicht zu bremsen. Er zeigte Jonathan einen Faltplan von Hamburg, auf dem die U-Bahnlinien blau gepunktet markiert waren.
    »Sie steigen mit Fritz an der Station Rathaus zu. Fritz kommt nach dem Essen hier vorbei.«
    »Leider muß ich Sie enttäuschen«, wollte Jonathan sagen. Ganz frei von Schuld fühlte er sich nicht, weil er Reeves so lange im unklaren gelassen hatte. Aber stimmte das wirklich? Nein. Reeves hatte ein aberwitziges Spiel gespielt, wahrscheinlich war er daran gewöhnt. Und vielleicht hatte er es vor ihm schon bei anderen versucht. Jonathan wollte schon fragen, ob er der erste sei, doch Reeves redete immer weiter.
    »Unter Umständen wird ein zweiter Schuß fällig. Kann durchaus sein. Ich will Ihnen da nichts vormachen…«
    Jonathan war froh, daß es eine Kehrseite gab. Reeves hatte alles in den rosigsten Farben ausgemalt: ein kinderleichter Mord, dann die Taschen voller Geld, ein besseres Leben in Frankreich oder anderswo, eine Kreuzfahrt um die Welt, nur das Beste für Georges (er hatte nach dem [97]  Namen gefragt) und ein gesicherteres Leben für Simone. – Wie sollte er ihr jemals so viel Geld erklären?
    »Das ist Aalsuppe.« Reeves nahm den Löffel zur Hand. »Eine Hamburger Spezialität. Gaby kocht sie für ihr Leben gern.«
    Die Suppe war ausgezeichnet. Dazu gab es einen erstklassigen, gut gekühlten Moselwein.
    »Hamburg hat einen berühmten Zoo, wissen Sie. Hagenbecks Tierpark, in Stellingen. Auch die Fahrt dahin ist schön. Wir könnten morgen hin. Das heißt« – Reeves machte ein sorgenvolles Gesicht –, »wenn mir nichts

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