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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Sonnenlicht in dem weißen Zimmer.
    »Und der Bericht? Darf ich ihn mal sehen? Konnten Sie alles verstehen?«
    »Nein, nicht alles.« Jonathan gab Reeves den Umschlag.
    »Haben Sie auch mit dem Arzt gesprochen?«
    »Er hatte keine Zeit.«
    »Setzen Sie sich, Jonathan. Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink gebrauchen.« Reeves ging zu dem Regal, auf dem die Flaschen standen.
    Jonathan setzte sich auf das Sofa und legte den Kopf zurück. Er fühlte sich leer und mutlos, aber nicht schwach, wenigstens nicht im Moment.
    »Ist der Befund schlimmer als der französische?« Reeves kam mit einem Scotch und Soda zurück.
    »Im Grunde ja«, sagte Jonathan.
    Reeves warf einen Blick auf die letzte Seite mit dem zusammenhängenden Text. »Sie müssen sich vorsehen vor kleinen Verletzungen. Das ist interessant.«
    Und nicht weiter neu, dachte Jonathan. Er blutete leicht. Jonathan wartete auf Minots Bemerkungen dazu, ja eigentlich auf seine Übersetzung.
    »Hat Rudolf Ihnen diesen Teil übersetzt?«
    »Nein. Aber ich hatte ihn auch nicht darum gebeten.«
    [105]  »›…läßt sich nicht entscheiden, ob sich der Zustand des Patienten verschlechtert hat, da ich keinen früheren Befund einsehen konnte… durchaus lebensbedrohlich angesichts der Dauer der Krankheit…‹ und so weiter. Wenn Sie wollen, gehe ich das Wort für Wort durch«, fuhr Reeves fort. »Für einige dieser langen Fachausdrücke brauche ich ein Wörterbuch, aber das Wichtigste habe ich verstanden.«
    »Dann nur das Wichtigste bitte.«
    »Ich muß schon sagen, die hätten das für Sie auch auf englisch schreiben können.« Reeves überflog die Seite noch einmal: »›…eine erhebliche Granulation der Zellen wie auch der… weißen Blutkörperchen. Da der Patient bereits bestrahlt wurde, ist eine Wiederholung zur Zeit nicht ratsam, weil die von Leukämie befallenen Zellen eine Resistenz dagegen entwickeln…‹«
    Reeves las noch ein Weilchen weiter. Jonathan fand keine Andeutung, wann Schluß sein könnte.
    »Da Sie Wentzel heute nicht sprechen konnten – soll ich versuchen, Ihnen für morgen einen Termin zu besorgen?« Reeves klang ehrlich besorgt.
    »Danke, aber ich habe schon einen Termin ausgemacht. Morgen vormittag, halb elf.«
    »Gut. Sie sagen, die Stationsschwester spricht Englisch, dann brauchen Sie Rudolf nicht mehr. Warum legen Sie sich nicht ein bißchen hin?« Reeves schob ihm ein Kissen in die Sofaecke.
    Jonathan lehnte sich zurück, einen Fuß auf dem Boden, den anderen über der Sofalehne. Er fühlte sich schwach und schläfrig, so als könne er stundenlang schlafen. Reeves schlenderte zum Fenster, durch das die Sonne ins Zimmer [106]  fiel, erzählte vom Zoo, sprach von einer seltenen Tierart (deren Namen Jonathan sofort wieder vergaß), einem Neuzugang aus Südamerika. Zwei Tiere derselben Art, ein Pärchen. Die müßten sie sich unbedingt ansehen. Jonathan dachte an Georges, wie er sein Wägelchen zog. Cailloux. Er würde ihn nicht aufwachsen sehen, nie seinen Stimmbruch erleben. Abrupt setzte er sich auf und biß die Zähne zusammen.
    Gaby kam mit einem großen Tablett herein.
    »Ich habe Gaby um ein kaltes Mittagessen gebeten, damit wir essen können, wenn Ihnen danach ist«, sagte Reeves.
    Sie aßen kalten Lachs mit Mayonnaise. Jonathan bekam nicht viel herunter, doch das Schwarzbrot mit Butter und der Wein schmeckten gut. Reeves sprach über Salvatore Bianca, über die Verbindungen der Mafia zur Prostitution: Gewöhnlich beschäftigten die Italiener Huren in ihren Spielcasinos und nahmen den Mädchen neunzig Prozent ihrer Einnahmen ab. »Alles Erpressung«, sagte Reeves. »Ihr Ziel ist Geld, ihr Mittel die Einschüchterung. Wie in Las Vegas. Die Hamburger Jungs dagegen haben mit Prostitution nichts am Hut.« Ein Hauch von Selbstgerechtigkeit schwang in seiner Stimme. »Ein paar Mädchen gibt es schon, zugegeben, helfen an der Bar aus oder so. Vielleicht sind sie auch zu haben, aber nicht in den Casinos, das ganz gewiß nicht.« Jonathan hörte kaum zu, was Reeves sagte, und dachte erst recht nicht darüber nach. Er stocherte in seinem Essen herum; das Blut stieg ihm ins Gesicht, während er im stillen mit sich rang: Er würde versuchen, den Mann zu erschießen. Und das nicht, weil er annahm, in [107]  wenigen Tagen oder Wochen zu sterben, sondern schlicht und einfach, weil er das Geld gut gebrauchen konnte, für Simone und Georges. Vierzigtausend Pfund, sechsundneunzigtausend Dollar oder auch nur die Hälfte, falls es bei dem einen

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