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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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übernehmen, dort alles aufmischen – so hört man jedenfalls.« Leiser fragte er: »Würden Sie es mit der Pistole machen, Jon?«
    Jonathan schüttelte den Kopf. »Herrgott, nein, das bring ich nicht fertig. Nicht im Zug.«
    »Dann schauen Sie sich diese Garrotte mal an!« Rasch zog Reeves die Linke aus der Hosentasche. In der Hand hielt er eine dünne, weiße Schnur. Das Ende der Schnur führte durch eine Schlinge, die durch einen kleinen Knoten gesichert war. Reeves warf die Schlinge über den Bettpfosten und zog sie mit einem kräftigen Ruck zu.
    »Sehen Sie? Nylon. Fast so stark wie Draht. Die meisten können nicht mal mehr röcheln…« Er verstummte.
    Jonathan war entsetzt. Mußte man das Opfer mit der freien Hand nicht irgendwo anfassen? Und dauerte das Ganze nicht rund drei Minuten?
    Reeves hatte offenbar aufgegeben. Er schlenderte zum Fenster und drehte sich um. »Denken Sie darüber nach. Sie können mich anrufen, sonst rufe ich in ein paar Tagen Sie an. Gewöhnlich fährt Marcangelo so gegen Mittag in München los. Am besten geht die Sache nächstes Wochenende über die Bühne.«
    Jonathan machte einen Schritt auf die Tür zu und drückte die Zigarre im Aschenbecher auf dem Nachttisch aus.
    Reeves musterte ihn durchdringend, vielleicht starrte er aber auch durch ihn hindurch, in Gedanken schon bei jemand anderem, der den Auftrag erledigen könnte. In diesem Licht wirkte seine lange Narbe wulstiger als sonst. Gut [132]  möglich, daß er Frauen gegenüber deswegen einen Minderwertigkeitskomplex hatte. Doch seit wann hatte er sie? Zwei Jahre, drei – schwer zu sagen.
    »Ein Drink, unten an der Bar?«
    »Nein, danke«, sagte Jonathan.
    »Ach, ich wollte Ihnen noch ein Buch zeigen.« Reeves trat noch einmal an seinen Koffer und kramte daraus ein Buch mit einem leuchtendroten Umschlag hervor. »Schauen Sie mal rein. Behalten Sie’s. Ausgezeichnete Reportage. Ein Dokumentarbericht. Da sehen Sie, mit was für Leuten wir’s zu tun haben. Aber sie sind auch nur aus Fleisch und Blut, wie wir alle. Nicht unverwundbar, meine ich.«
    Das Buch hieß Die Sensenmänner. Anatomie des organisierten Verbrechens in Amerika.
    »Mittwoch rufe ich Sie an«, fuhr Reeves fort. »Sie könnten am Donnerstag nach München kommen, im selben Hotel übernachten wie ich und am Freitag abend den Zug nach Paris zurücknehmen.«
    Jonathans Hand lag auf dem Türknauf. Er drehte ihn. »Tut mir leid, Reeves, aber ich fürchte, das geht nicht. Alles Gute.«
    Er verließ das Hotel und ging quer über die Straße zur Métrostation. Auf dem Bahnsteig las er den Klappentext, während er auf den Zug wartete. Hinten auf dem Umschlag zeigten Polizeifotos ein halbes Dutzend unangenehmer Gestalten, im Profil und von vorne, die Mundwinkel herabgezogen, die Gesichter schlaff und grausam hart zugleich, alle mit dunklen Augen und stechendem Blick. Seltsam, wie sich die Mienen glichen, ob die Gesichter nun rund waren oder hager. Das Buch enthielt fünf, sechs [133]  Seiten mit Fotos. Die Kapitel waren nach amerikanischen Städten benannt: Detroit, New York, New Orleans, Chicago. Am Ende des Buches fand sich, außer einem Register, eine Art Stammbaum der verschiedenen Mafia-Familien, nur daß alle diese Leute noch lebten: große Bosse, kleine Bosse, Leutnants und einfache Soldaten. Allein die Genovese-Familie, von der Jonathan schon gehört hatte, zählte fünfzig bis sechzig Soldaten. Die Namen waren echt; oft wurde auch eine Adresse in New York oder New Jersey angegeben. Im Zug nach Fontainebleau blätterte Jonathan das Buch durch. Er las von »Icepick Willi« Alderman, den Reeves in Hamburg erwähnt hatte: Er tötete seine Opfer, indem er sich über sie beugte, als wolle er etwas sagen, und ihnen einen Eisstecher durch das Trommelfell rammte. Das Foto zeigte einen grinsenden »Icepick Willie« in Las Vegas, inmitten einer Bruderschaft von Glücksspielern, einem halben Dutzend Männern mit italienischen Namen, sowie einem Kardinal, einem Bischof und einem Priester (auch ihre Namen wurden genannt). Den Geistlichen war gerade »eine Spende über 7.500   Dollar, verteilt auf fünf Jahre, zugesichert worden«. Deprimiert schloß Jonathan das Buch, starrte eine Weile aus dem Fenster und blätterte dann doch weiter darin. Schließlich waren das Tatsachen, und zwar faszinierende Tatsachen.
    Jonathan nahm den Bus von der Station Fontainebleau-Avon bis zum Platz am château und ging die Rue de France entlang zu seinem Geschäft. Den Schlüssel hatte er

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