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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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bleich, fleischfarben.
    »Versuchen Sie’s mal… Nehmen Sie die Stuhllehne hier«, sagte Reeves.
    Jonathan nahm die Schnur und warf die Schlinge über die Stuhllehne. Gleichgültig zog er sie zu. Er fühlte nichts, nicht einmal Ekel. Ob wohl der Mann von der Straße sofort wüßte, was das war, wenn er die Schnur in seiner Tasche oder sonstwo fände? Wahrscheinlich nicht.
    »Natürlich müssen Sie sie fest zuziehen«, sagte Reeves ernsthaft, »und dann so halten.«
    [155]  Plötzlich verärgert, wollte Jonathan schon etwas Häßliches erwidern, beherrschte sich aber gerade noch. Er nahm die Schnur vom Stuhl, um sie aufs Bett zu werfen, als Reeves sagte:
    »Behalten Sie sie bei sich. In der Hosentasche. Oder in dem Anzug, den Sie morgen tragen werden.«
    Jonathan dachte daran, die Garrotte einzustecken, doch dann ging er zum Schrank und schob sie in die Hosentasche seines blauen Anzugs.
    »Dann wollte ich Ihnen noch diese beiden Bilder zeigen.« Reeves zog einen weißen, offenen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts, der zwei Fotos enthielt, einen Glanzabzug in Postkartenformat sowie ein zweimal gefaltetes, sauber ausgeschnittenes Zeitungsbild. »Vito Marcangelo.«
    Jonathan betrachtete das Hochglanzfoto, das an mehreren Stellen geknickt war: ein Mann mit rundem Kopf, rundem Gesicht, dicken, sinnlichen Lippen und schwarzem, gewelltem Haar. Grau melierte Schläfen, als speie der Kopf Dampf.
    »Ungefähr einsfünfundsechzig«, sagte Reeves. »Die Schläfen sind immer noch grau, er färbt sie nicht. Hier ist er in Gesellschaft.«
    Das Zeitungsfoto zeigte drei Männer und mehrere Frauen, die hinter einem gedeckten Tisch standen. Ein eingezeichneter Pfeil wies auf einen kleinen, lachenden Mann mit silbern schimmernden Schläfen. Die Bildunterschrift war deutsch.
    Reeves nahm die Bilder wieder an sich. »Kommen Sie, kaufen wir diesen Mantel. Irgendein Laden wird schon [156]  offen haben. Die Waffe wird übrigens genauso gesichert wie die andere. Sie ist geladen, sechs Kugeln im Magazin. Ich lege sie hierhin, okay?« Er nahm die Pistole vom Fußende des Bettes und legte sie in eine Ecke von Jonathans Koffer. Im Lift sagte er: »Die Brienner Straße ist gut für Einkäufe.«
    Sie gingen zu Fuß. Jonathan hatte seinen Mantel im Hotelzimmer gelassen.
    Er entschied sich für einen dunkelgrünen Tweedmantel. Wer sollte zahlen? Das schien nicht so wichtig, außerdem blieben ihm womöglich nur vierundzwanzig Stunden, das Ding zu tragen. Reeves bestand darauf. Jonathan sagte, er könne Reeves das Geld geben, sobald er Franc umgetauscht habe.
    »Nein, nein, gern geschehen.« Dabei hob der Amerikaner ruckartig den Kopf, was bei ihm gelegentlich ein Lächeln ersetzte.
    Jonathan behielt den Mantel gleich an. Sie gingen weiter, mit Reeves als Führer: der Odeonsplatz, der Anfang der Ludwigstraße, die bis nach Schwabing führte, wo Thomas Mann gewohnt hatte, weiter zum Englischen Garten. Dort nahmen sie ein Taxi zu einem Bierkeller. Tee wäre Jonathan lieber gewesen. Reeves wollte, daß er sich entspannte, das merkte er. Dabei war er durchaus entspannt und sorgte sich nicht einmal, was Doktor Max Schröder ihm morgen früh sagen könnte – was es auch wäre, es war ihm schlicht egal.
    Sie aßen in einem lärmenden Schwabinger Restaurant zu Abend, wo praktisch jeder Gast, wie Reeves sagte, »Künstler oder Schriftsteller« war. Jonathan fand Reeves amüsant. Ihm schwirrte der Kopf von all dem Bier, und nun tranken sie Weißwein, Gumpoldskirchner.
    [157]  Kurz vor Mitternacht stand Jonathan frisch geduscht im Pyjama in seinem Hotelzimmer. Morgen früh würde er vom Telefon um Viertel nach sieben geweckt werden, und gleich darauf gab es Frühstück. Er setzte sich an den Schreibtisch, zog Briefpapier aus der Schublade und adressierte einen Umschlag an Simone. Dann fiel ihm ein, daß er übermorgen wieder zu Hause wäre, vielleicht schon morgen am späten Abend. Er zerknüllte den Briefumschlag und warf ihn in den Papierkorb. Am Abend hatte er Reeves beim Essen gefragt: »Kennen Sie einen Tom Ripley?« Reeves hatte ihn ausdruckslos angesehen: »Nein, warum?« Jonathan schlüpfte unter die Bettdecke und drückte auf einen Knopf, der sämtliche Lichter auf einmal löschte, auch das im Bad. Hatte er seine Tabletten schon genommen? Ja, kurz vor dem Duschen. Das Fläschchen hatte er in seine Jackentasche gesteckt, damit er das Medikament morgen wenn nötig Doktor Schröder zeigen konnte.
    Reeves hatte gefragt: »Hat die Schweizer

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