Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
Vom Netzwerk:
geschrieben und so weiter. Sogar einen Bart lasse ich mir wachsen. Und natürlich bin ich hier unter… anderem Namen abgestiegen.«
    Daß Reeves unter falschem Namen reisen würde, mit einem seiner gefälschten Pässe, hatte er angenommen. »Und wie lautet der?«
    »Andrew Lucas. Aus Virginia«, sagte Reeves. »Hah! – Übrigens, haben Sie unseren Freund getroffen?«
    »Nein, warum auch? Na gut, Andy, lassen Sie von sich hören.« Reeves würde bestimmt anrufen, sollte er in Schwierigkeiten geraten (falls er dann noch anrufen konnte), weil er glaubte, Tom könne ihm aus jeder Patsche helfen. Tom dagegen ging es vor allem um Jonathan; darum wollte er Bescheid wissen, falls Reeves Probleme bekam.
    »Mache ich, Tom. Ach, eins noch: In Hamburg hat man einen von Di Stefanos Leuten umgelegt. Am Samstag abend. Vielleicht kommt’s in Ihre Zeitungen, vielleicht auch nicht. Aber es muß die Genotti-Familie gewesen sein. Genau das, was wir wollten…«
    Endlich legte Minot auf.
    Falls die Mafia ihn in Amsterdam aufstöberte, würde sie ihn so lange foltern, bis er etwas ausspuckte. Daß er sich genausogut halten würde, wie Fritz das anscheinend getan hatte, glaubte Tom nicht. Wer hatte Fritz wohl in die Finger [236]  bekommen, die Di Stefanos oder die Genottis? Wahrscheinlich wußte Fritz nur vom ersten Auftrag, dem Mord in Hamburg. Dort war das Opfer bloß ein Fußsoldat der Mafia gewesen, ein Wasserträger. Die Genottis dagegen dürften weitaus wütender sein, denn sie hatten einen Capo und obendrein, wie es jetzt hieß, einen Leibwächter oder Fußsoldaten verloren. Ob beide Familien inzwischen wußten, daß Reeves und seine Jungs aus den Hamburger Casinos hinter den Morden standen, daß es hier also nicht um einen Bandenkrieg ging? War Reeves damit schon erledigt? Im Notfall würde er Reeves einfach nicht schützen können, das wußte er. Wenn sie es nur mit einem Mann zu tun hätten, wäre es ein Kinderspiel. Aber die Mafia? Viel zu viele.
    Bevor Reeves auflegte, hatte er noch gesagt, er sei in einem Postamt. Das war zumindest sicherer als ein Anruf vom Hotel aus. Doch war nicht sein erster Anruf aus einem Hotel namens Zuyder Zee gekommen? Tom war sich fast sicher.
    Von unten perlten klare Cembalotöne herauf, wie eine Botschaft aus einem anderen Jahrhundert. Tom ging hinunter. Héloïse wollte sicher etwas über den Gottesdienst hören, dabei hatte sie auf seine Frage, ob sie mitkommen wolle, geantwortet, sie finde Begräbnisse deprimierend.
    Jonathan stand im Wohnzimmer und schaute hinaus auf die Straße. Es war kurz nach zwölf. Er hatte das Transistorradio angestellt, wegen der Mittagsnachrichten, und nun kam Popmusik. Simone und Georges waren im Garten. Der Junge war alleine zu Hause geblieben, als Simone und er zur Trauerfeier gingen. Im Radio sang ein Mann [237]  »Running on along… running on along«, auf der anderen Straßenseite tollte ein junger Hund, der aussah wie ein Schäferhund, mit zwei kleinen Jungs herum. Wie vergänglich alles war, das Leben, Leben aller Art: Nicht nur der Hund und die beiden Jungs waren vergänglich, sondern auch das Haus hinter ihnen; am Ende würde alles vergehen, zerfallen, jede Form und Gestalt würde sich auflösen, ja vergessen werden. Jonathan dachte an Gauthier in seinem Sarg, der vielleicht gerade jetzt in die Erde gelassen wurde, und dann nicht mehr an Gauthier, sondern an sich selber. Er hatte weniger Lebenskraft als jener vorbeitollende Hund. Seine beste Zeit, wenn es sie je gegeben hatte, lag hinter ihm. Nun war es zu spät, und er hatte nicht mehr die Kraft, das bißchen Leben zu genießen, das ihm noch blieb – gerade jetzt, da er ein wenig zu Geld gekommen war und sich etwas leisten könnte, um es zu genießen. Eigentlich sollte er den Laden dichtmachen – verkaufen, verschenken, was machte das schon? Andererseits konnte er das Geld nicht einfach mit Simone verprassen, denn was bliebe dann ihr und dem Jungen noch, wenn er tot war? Selbst vierzigtausend Franc waren kein Vermögen. Jonathan dröhnten die Ohren. Er atmete ein paarmal tief durch, ruhig und langsam, versuchte dann, das Schiebefenster vor sich zu öffnen, doch ihm fehlte die Kraft; er drehte sich um, dem Zimmer zu, die Beine waren schwer, gehorchten ihm kaum noch. Das Dröhnen in den Ohren hatte die Musik restlos verschluckt.
    Auf dem Teppich kam er zu sich, in kalten Schweiß gebadet. Simone kniete neben ihm; mit einem feuchten Tuch wischte sie ihm sanft über Stirn und Wangen.
    [238]  »Schatz,

Weitere Kostenlose Bücher