Riptide - Mörderische Flut
Hand vom Knopf des Nebelhorns. Nach einer Weile war er sich sicher, daß es sich bei dem Geräusch um einen weit entfernten, sich aber rasch nähernden Schiffsmotor handelte. Hatch ließ die Augen über den Horizont wandern, bis er im Süden einen undeutlichen grauen Fleck erblickte. Während er das Schiff beobachtete, sah er einen kurzen Lichtblitz. Offenbar hatte ein Strahl der untergehenden Sonne etwas metallisch Blankes an seinen Aufbauten getroffen. Wahrscheinlich gehört das Boot auch zu Thalassa, dachte Hatch. Kann sein, daß es gerade von Portland heraufkommt.
Dann sah Hatch, wie sich der graue Fleck langsam erst in zwei, dann in drei und schließlich in sechs kleinere Flecken teilte. Mit ungläubigem Staunen beobachtete er, wie eine veritable Invasionsflotte auf die Insel zusteuerte. Eines der Schiffe war ein großer hochseetauglicher Lastkahn, bei dem der rote Unterwasseranstrich sichtbar wurde, sobald die Bugwelle langsam nach hinten abzog. In seinem Kielwasser mühte sich ein Hochseeschlepper, dessen Bugnetz ganz feucht von der Gischt war, damit ab, einen Hundert-Tonnen-Schwimmkran hinter sich herzuziehen. Als nächstes kamen zwei schlanke, aber stabil aussehende Motorboote, beide mit elektronischen Antennen gespickt. Dahinter folgte ein schwer beladenes, tief im Wasser liegendes Versorgungsschiff, an dessen Mast eine kleine weißrote Flagge mit einem Symbol wehte, das Hatch erst vor ein paar Tagen auf Neidelmans Aktentasche gesehen hatte.
Das letzte Schiff der Flottille war ein großes, elegantes und phantastisch ausgerüstetes Schiff, das am Bug in blauen Lettern den Namen CERBERUS trug. Beeindruckt betrachtete Hatch seine blitzenden Aufbauen, die Harpunenkanone auf dem Vorderdeck und das Rauchglas der Bullaugen. Ein Fünfzehntausendtonner, Minimum.
In einer stummen Choreographie näherten sich die sechs Schiffe der »Griffin«. Die größeren von ihnen stoppten jenseits des Feuerlöschbootes, während die kleineren sich zwischen die »Griffin« und die »Plain Jane« schoben. Mit klirrenden Ketten und singenden Trossen rauschten die Anker nach unten. Die beiden schnellen Motorboote ankerten Steuer- und backbord von der »Plain Jane«, und ihre Besatzungen starrten zu Hatch herüber. Ein paar der Leute nickten ihm lächelnd zu. Auf einem der Boote, das dem seinen am nächsten war, bemerkte Hatch einen Mann mit stahlgrauen Haaren und einem breiten blassen Gesicht, der ihn mit höflichem Interesse musterte. Er trug eine dicke orangefarbene Schwimmweste und darunter ein bis zum letzten Knopf zugeknöpftes Hemd. Neben ihm stand ein junger Mann mit langen, fettigen Haaren und einem Ziegenbärtchen in Bermudashorts und einem mit Blumen bedruckten T-Shirt. Er aß etwas aus einem weißen Papier und warf Hatch einen frechen, wenngleich desinteressierten Blick zu.
Als der letzte der Bootsmotoren verstummt war, senkte sich eine merkwürdige, fast geisterhafte Stille über die versammelten Schiffe. Hatch schaute von einem der Boote zum anderen und stellte fest, daß die Blicke der Menschen sich sämtlich auf das leere Deck des Feuerlöschbootes in der Mitte der Flottille konzentrierten.
Eine Minute verging, dann eine weitere, bis sich schließlich an der Seite des Steuerhauses eine Tür öffnete und Kapitän Neidelman erschien. Stumm trat er an die Reling, blieb dort steif und gerade wie ein Ladestock stehen und musterte die Versammlung ringsumher. Die untergehende Sonne tauchte sein sonnengegerbtes Gesicht in ein burgunderrotes Licht und ließ sein blondes, schon gelichtetes Haar golden aufleuchten. Es war schon erstaunlich, dachte Hatch, was für eine Wirkung von dieser schlanken Gestalt ausging und quer über das Wasser die Menschen auf den Booten in ihren Bann schlug. Während die Stille noch immer anhielt, trat hinter Neidelman ein weiterer Mann unauffällig aus der Tür. Er war klein und drahtig und blieb mit gefalteten Händen an der Wand des Steuerhauses stehen.
Noch eine ganze Weile sagte Neidelman kein Wort, bis er schließlich mit leiser, fast andächtiger Stimme zu sprechen ansetzte, die sich trotzdem über das Wasser hinweg noch gut vernehmen ließ. »Wir leben in einem Zeitalter«, begann er, »in dem das Unbekannte bekannt ist und die meisten Rätsel dieses Planeten gelöst wurden. Menschen waren am Nordpol, auf dem Mount Everest und sind sogar auf dem Mond gelandet. Wir haben Atome gespalten und die tiefsten Abgründe der Ozeane vermessen. Viele haben für die Entdeckung dieser Geheimnisse ihr
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