Riptide - Mörderische Flut
zu müssen. Er fühlte sich noch nicht in der Lage, Rede und Antwort zu stehen, und sehnte sich danach, zu seinem Boot zurückkehren. Dort wollte er den transportablen Grill über die Heckreling hängen, sein Steak draufwerfen und sich einen trockenen Martini genehmigen. Leider verlangte es jedoch die Etikette dieses Städtchens, daß er mindestens eine Stunde bei dem alten Ladenbesitzer blieb und mit ihm plauderte.
»Erzählen Sie mir doch, was seit meiner Abreise hier geschehen ist«, sagte er, um die Unterhaltung in Gang zu halten und gleichzeitig Buds neugierigen Fragen vorzubeugen. Er spürte, wie sehr sein Gesprächspartner darauf brannte, den Grund für seine Rückkehr zu erfahren, aber hier in Maine verbot es die Höflichkeit, solche Fragen direkt zu stellen.
»Na ja«, begann Bud, »hier hat sich schon eine ganze Menge getan.« Und dann berichtete er, daß vor fünf Jahren die Highschool einen Erweiterungsbau erhalten hatte und wie das Haus der Thibodeaux' abgebrannt war, während diese auf Urlaub bei den Niagara-Fällen gewesen waren. Nachdem er erzählt hatte, wie Frank Pickett sein Boot im Suff gegen den Old Hump gefahren und versenkt hatte, fragte er Malin, ob er denn schon das schöne neue Feuerwehrhaus gesehen habe.
»Und ob«, antwortete Hatch, der es insgeheim bedauerte, daß man das alte bescheidene Holzgebäude durch eine häßliche Monstrosität mit Metallwänden ersetzt hatte.
»Überall werden jetzt neue Häuser gebaut. Hauptsächlich Sommerhäuser«, fügte Bud mit einem abschätzigen Glucksen hinzu.
Hatch fragte sich, ob er mit den Feriengästen auch so sprach, wenn sie in seinem Supermarkt einkauften. Außerdem hatte Bud stark übertrieben. Sein »überall« bezeichnete gerade mal drei oder vier neuerbauten Häuser am Breed's Point, zu denen noch ein paar kürzlich renovierte Farmen im Inland und die neue Pension in der Stadt kamen.
Bud beendete seine Erzählung mit einem traurigen Kopfschütteln. »Seit du fort bist, hat sich hier alles total verändert. Du wirst Stormhaven nicht wiedererkennen.« Er brachte seinen Stuhl zum Schaukeln und seufzte laut. »Dann bist du wohl hergekommen, um euer Haus zu verkaufen?«
Hatch zuckte zusammen. »Nein, ich will hier wohnen. Zumindest für den Rest des Sommers.«
»Dann machst du also doch Ferien.«
»Wie bereits gesagt«, entgegnete Hatch und bemühte sich, dabei nicht allzu bedeutungsvoll zu klingen, »ich bin in einer etwas delikaten geschäftlichen Angelegenheit hier. Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr darüber erzählen, aber ich versichere Ihnen, daß sie nicht mehr lange ein Geheimnis bleiben wird.« Bud lehnte sich beleidigt zurück. »Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber hast du nicht vorhin erwähnt, daß du Arzt bist?«
»Stimmt. Und als solcher habe ich hier auch zu tun.« Hatch nahm einen Schluck von seinem Ginger Ale und. sah zum wiederholten Mal auf die Uhr.
»Aber wir haben schon einen Arzt hier in der Stadt«, meinte der Ladenbesitzer und rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. »Dr. Frazier. Er ist kerngesund und kann gut und gerne noch zwanzig Jahre praktizieren.«
»Wer weiß? Eine Prise Arsen im Tee wirkt da oft Wunder.«
Bud sah ihn erschrocken an.
»Keine Angst, Bud«, sagte Hatch lächelnd. »Ich habe nicht vor, Dr. Frazier Konkurrenz zu machen.« Er erinnerte sich, daß schwarzer Humor im ländlichen Maine nicht allzu verbreitet war.
»Das ist gut«, meinte Bud und sah seinen Besucher von der Seite an. »Dann hat dein Kommen ja vielleicht etwas mit diesen Hubschraubern zu tun.«
Hatch warf ihm. einen fragenden Blick zu.
»Es war gestern. Ein schöner klarer Tag mit guter Sicht. Da flogen zwei Hubschrauber, ziemlich große Biester noch dazu, über die Stadt hinaus zu den Inseln. Ich habe gesehen, wie sie eine Weile über Ragged Island gekreist sind. Eigentlich dachte ich, es wären vielleicht Armee-Hubschrauber.« Buds Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Aber vielleicht waren es ja doch keine.«
Das Knarzen der Fliegengittertür bewahrte Hatch davor, auf Buds Spekulationen eingehen zu müssen. Er sah den alten Mann schwerfällig in den Laden schlurfen und wartete, bis er wieder zurückkam. »Schaut aus, als würden die Geschäfte nicht schlecht gehen«, meinte er.
»Das täuscht«, erwiderte Bud. »Außer in der Ferienzeit wohnen nur noch achthundert Menschen hier in Stormhaven.« Hatch dachte bei sich, daß die Stadt noch nie viel mehr Einwohner gehabt hatte.
»Ja, ja, so ist das nun mal«,
Weitere Kostenlose Bücher