Riptide - Mörderische Flut
Cybergeist zu tun«, drang Wopners Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich habe gerade einen ROM-Dump auf Charybdis gemacht und ihn mit dem von Scylla verglichen. Da herrscht das totale Chaos, was aber eigentlich nicht sein kann, denn der Programmcode ist fest in die ROM-Bausteine eingebrannt. In unserem System spukt es, Käpt'n, das ist die einzige Erklärung, die ich habe. Nicht einmal ein Hacker könnte ROM-Bausteine manipulieren. Da liegt ein Fluch auf der…«
»Erzählen Sie mir bloß nichts von einem Fluch!« unterbrach ihn Neidelman barsch.
Als die »Naiad« an der Pier anlegte, zog Bonterre ihren Taucheranzug aus und hängte ihn in ein Schrankfach an Deck. Dann trocknete sie ihre Haare und wandte sich an Hatch. »Sehen Sie, Doktor, mein Alptraum ist wahr geworden. Jetzt habe ich Ihre Dienste doch Anspruch genommen.«
»Ich habe doch kaum etwas gemacht«, sagte Hatch. Er spürte, wie er dabei rot wurde und war deshalb auf sich selber wütend.
»Mag sein, aber es war sehr schön.«
16
Die Ruinen von Fort Blacklock erhoben sich über der Hafeneinfahrt von Stormhaven auf einer von WeymouthKiefern umrahmten Wiese, die weiter hinten allmählich in Viehweiden und einen dichten Hain mit Zuckerahornbäumen überging. Jenseits dieser Wiese hatte man einen großen, gelbweißen Pavillon errichtet, der mit munter in der frischen Brise flatternden Bändern und Wimpeln geschmückt war. An seiner Vorderseite verkündete ein großes, handgeschriebenes Plakat:
WILKOMMEN BEIM 71. STORMHAVENER HUMMERFEST!!!
Als Hatch den grasbewachsenen Hügel hinaufstieg, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. Das Hummerfest war für ihn die erste Gelegenheit, den Menschen aus der Stadt in größerer Anzahl zu begegnen, und er wußte nicht, was für einen Empfang er erwarten durfte. Darüber allerdings, wie die Stormhavener die Expedition beurteilten, an der er teilnahm, hatte er nicht den geringsten Zweifel.
Obwohl die Leute von Thalassa erst gut eine Woche in Stormhaven waren, hatte ihre Gegenwart die kleine Stadt bereits gehörig verändert. Neidelmans Angestellte hatten praktisch jedes Gästebett im Ort gemietet und zahlten Spitzenpreise dafür. Aber nicht nur die kleine Pension profitierte davon, sondern auch die beiden Restaurants von Stormhaven; das »Anchors Away« und das »The Landing« waren jeden Abend bis zum letzten Platz voll. Die Tankstelle am Kai verkaufte dreimal soviel Kraftstoff wie sonst, und der Umsatz im Supermarkt hatte - auch wenn Bud das niemals zugeben würde -um das Doppelte zugenommen. In der Stadt waren die Schatzsucher von Ragged Island so willkommen, daß der Bürgermeister die gesamte Thalassa-Mannschaft kurz vor Beginn des Hummerfests zu Ehrengästen erklärt hatte. Daß Neidelman sich auf Hatchs Anraten hin dann unaufdringlich bereit erklärt hatte, die Hälfte der Festkosten zu übernehmen, hatte dem Wohlwollen für die Fremden das Sahnehäubchen aufgesetzt.
Als Hatch sich dem Pavillon näherte, entdeckte er den Tisch für die Ehrengäste, an dem bereits einige Honoratioren der Stadt sowie die Führungsriege von Thalassa Platz genommen hatten. Dahinter war ein kleines Podium mit Mikrofon aufgestellt. Rings um den Pavillon drängten sich Menschen aus der Stadt und Leute von Thalassa, die, Limonade oder Bier trinkend, für ihre Hummer anstanden.
Hatch betrat den Pavillon und wurde sogleich von einer ihm wohlvertrauten nasalen Stimme begrüßt. Kerry Wopner kam auf ihn zu und trug einen Pappteller, der sich unter der Last zweier Hummer, einer Riesenportion Kartoffelsalat sowie eines Maiskolbens gefährlich durchbog. In der anderen Hand hielt der Computerexperte einen großen Krug Bier. Derart beladen konnte sich Wopner nur langsam und vorsichtig fortbewegen, wollte er nicht Gefahr laufen, sein Hawaii-Hemd, seine Bermudashorts oder seine in weißen Socken und schwarzen Turnschuhen steckenden Füße zu bekleckern. »Hey, wie ißt man denn diese Dinger?« herrschte Wopner einen vorbeigehenden Hummerfischer an.
»Wie bitte?« fragte der verdutzt dreinblickende Mann und neigte den Kopf, als habe er Wopners Worte nicht richtig verstanden.
»Dort, wo ich herkomme, gibt es keine Hummer.«
»Was? Keine Hummer?« wiederholte der Fischer, als könne er das kaum glauben.
»Nö. In Brooklyn hatten wir so was nicht. Kennen Sie Brooklyn? Das ist ein Teil von Amerika. Sie sollten sich Ihre Heimat vielleicht einmal näher ansehen, guter Mann. Wie dem auch sei, ich habe nie gelernt, wie man solche Viecher ißt.« Wopners
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