Riptide - Mörderische Flut
ist.«
»Doch, heute morgen«, sagte Banns. »Ich denke, sie wird dir gefallen. Ich habe den Leitartikel selber geschrieben - mit deiner gütigen Mithilfe natürlich.« Er fuhr sich mit dem Finger über die Nase, als wolle er sagen: Halte mich nur schön auf dem laufenden, und ich sorge dafür, daß ihr eine gute Presse habt.
Hatch nahm sich vor, am Abend im Supermarkt eine Ausgabe der Zeitung mitzunehmen.
Auf dem Tisch lagen diverse Instrumente, mit denen man Hummer zerlegen konnte: Hammer aus Metall und Holz, Zangen, Scheren und Messer, an denen glänzende Hummerreste klebten. In zwei großen Schüsseln in der Mitte des Tisches häuften sich die leeren Panzer und aufgebrochenen Scheren. Überall: klopften und knackten die Leute an Ihren Hummern herum. Hatch blickte sich im Pavillon um, bis er Wopner entdeckte. Der Computerspezialist war an einem Tisch mit Männern der Fischerei-Genossenschaft gelandet, und Hatch hörte, wie seine kratzige Stimme durch die Reihen der Essenden drang: »… eigentlich, daß Hummer, biologisch betrachtet, Insekten sind? Wenn man es genau nimmt, sind sie nichts weiter als große rote Unterwasserschaben…«
Hatch drehte sich wieder um und trank einen großen Schluck von seinem Bier. Langsam fand er den Aufenthalt hier direkt erträglich, und wenn er ehrlich war, sogar noch ein bißchen mehr als das. Hatch war sich sicher, daß jeder in der Stadt seine Geschichte kannte, und zwar in-und auswendig. Und doch -vielleicht aus Höflichkeit, vielleicht auch nur aus Zurückhaltung - hatte ihn bisher noch niemand darauf angesprochen, wofür Hatch überaus dankbar war.
Er suchte in der Menge nach bekannten Gesichtern und entdeckte an einem der Tische Christopher St. John, der eingeklemmt zwischen zwei übergewichtigen Einheimischen saß und sich offenbar den Kopf darüber zerbrach, wie er seinen Hummer zerlegen sollte, ohne sich dabei zu besudeln. Hatch ließ seinen Blick weiterschweifen, bis er Kai Estenson entdeckte, den Besitzer des Eisenwarengeschäfts, und Tyra Thompson, die über die Freie Bücherei wachte und noch genauso aussah wie an dem Tag, an dem sie Hatch und Johnny aus dem Lesesaal gejagt hatte, weil sie sich Witze erzählt und zu laut darüber gelacht hatten. Essig ist eben ein gutes Konservierungsmittel, dachte Hatch. Dann durchfuhr ihn ein Blitz des Erkennens, als er das weiße Haupt und die gekrümmten Schultern von Dr. Horn sah. Sein alter Biologielehrer stand am Ausgang des Pavillons, als wolle er sich bei dem Hummergemetzel nicht die Hände schmutzig machen. Dr. Horn, der Hatch härter geprüft hatte als jeder Universitätsprofessor, und der ihm gesagt hatte, daß so manches überfahrene Tier besser ausgesehen habe als die von Hatch sezierten Frösche… dieser Dr. Horn, der ebenso strenge wie wohlwollende Lehrer, war es gewesen, der bei Hatch das Interesse an den Naturwissenschaften und schließlich an der Medizin geweckt hatte. Hatch war erstaunt und erleichtert zugleich, ihn noch immer unter den Lebenden zu finden.
Er wandte die Augen von seinem alten Lehrer und sagte zu Bud, der gerade das Fleisch aus einem Hummerbein saugte: »Wer ist eigentlich dieser Woody Clay?«
»Reverend Clay? Er ist der Pastor hier, aber früher soll er mal ein Hippie gewesen sein. Das habe ich zumindest gehört.«
»Von woher kommt er denn?«
»Aus der Gegend von Boston. Vor zwanzig Jahren kam er in die Stadt, um ein paar Predigten zu halten, und dann ist er hier hängengeblieben. Es heißt, er habe eine große Erbschaft ausgeschlagen und sei statt dessen Priester geworden.«
Bud schnitt gekonnt den Schwanz des Hummers auf und entnahm ihm das Fleisch in einem einzigen Stück. Seine Stimme hatte einen zögerlichen Ton, der Hatch irgendwie irritierte. »Warum ist er denn geblieben?« fragte Hatch.
»Ach, es hat ihm hier offenbar gefallen«, meinte Bud ausweichend und widmete sich dem Hummerschwanz. »Du weißt ja, wie das so ist.«
Hatch sah hinüber zu Clay, der nun nicht mehr mit Streeter sprach. Während er neugierig das Gesicht des Pastors betrachtete, schaute dieser plötzlich auf und erwiderte seinen Blick. Hatch sah peinlich berührt zur Seite und wollte etwas zu Bud Rowell sagen, aber der Supermarktbesitzer war inzwischen aufgestanden, um sich einen weiteren Hummer zu holen. Aus dem Augenwinkel bemerkte Hatch, wie der Priester zu ihm herüberkam.
»Malin Hatch?« fragte er und streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Reverend Clay.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Hatch
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