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Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Titel: Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Gigerenzer
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mehr. Wie sagt man voraus, welche Kunden in Zukunft kaufen werden? Manager dreier Unternehmen verlassen sich auf eine einfache Faustregel (Hiatus-Regel, vgl. Text), während Managementtheoretiker komplexe Strategien vorschlagen (Pareto-/NBD-Modell). Ein Test zeigt, dass sich mit der Faustregel besser als mit der komplexen Strategie vorhersagen lässt, welche Kunden in Zukunft kaufen werden, obwohl die Faustregel nur einen Teil der Information nutzt. Dieser Weniger-ist-mehr-Effekt galt für die Fluggesellschaft und den Bekleidungseinzelhändler, während sich beim CD-Onlinehändler CDNOW beide Strategien gleich gut bewährten. In ungewissen Welten ist weniger oft mehr. Siehe Wübben and Wangenheim 2008.
    Weniger ist mehr
    Ist dieser Weniger-ist-mehr-Effekt eine Eintagsfliege? Nein. Abbildung 6.4 zeigt das Durchschnittsergebnis von 20 Studien, in denen zwei einfache Regeln mit einer komplexen Strategie namens »Multiple Regressionsanalyse« verglichen wurden. Diese Strategie wird vielfach für Prognosen in der Wirtschaft verwendet, etwa um den Absatz des folgenden Jahres vorherzusagen; dazu werden alle Faktoren sorgfältig gewichtet. Die erste der getesteten Regeln war die sogenannte Strichliste, die alle Faktoren gleich behandelt, so wie 1/N alle Investitionsalternativen gleich bewertet. Die zweite Regel, Take-the-Best , verlässt sich, wie ihr Name verrät, allein auf den besten Grund (ähnlich der Hiatus-Regel). 124
    Hier müssen wir uns wieder den Unterschied zwischen bekannten Risiken und Ungewissheit vergegenwärtigen. Bekannte Risiken entsprechen der Rückschau: Wir kennen alle Einzelheiten (etwa die Verkaufszahlen des zurückliegenden Jahres) und können sie im Nachhinein erklären. Bei dieser »Vorhersage« der Vergangenheit war die komplexe Strategie in den 20 Studien am erfolgreichsten. Ging es hingegen um die ungewisse Zukunft (zum Beispiel die Absatzzahlen des folgenden Jahres), lieferten die beiden einfachen Regeln bessere Vorhersagen als die komplexe Methode.

    Abbildung 6.4: Weniger-ist-mehr bei der Vorhersage (Ungewissheit); Mehr-ist-besser bei der Rückschau (bekannte Risiken). Gezeigt werden die durchschnittlichen Ergebnisse von 20 Studien ähnlich wie in Abbildung 6.3, in denen unter anderem Schulabbrecherraten und Hauspreise anhand von Faktoren wie Lehrergehältern und Leseleistungen vorhergesagt wurden.
Multiple Regression ist eine komplexe, in den Sozialwissenschaften ständig verwendete Methode, bei der alle Faktoren gewichtet und addiert werden. Take-the-Best ist eine einfache Faustregel, die sich nur auf den besten Grund verlässt und alle anderen Gründe außer Acht lässt. Die Strichliste ( tallying ) ist eine andere Heuristik; sie berücksichtigt alle Faktoren, aber gewichtet sie gleich. Rückschau heißt, dass alle Daten bekannt sind und die Strategien den Daten angepasst werden. Vorhersage heißt, dass nur die Hälfte der Daten bekannt ist und die andere Hälfte prognostiziert wird. Das komplexe Modell schneidet bei der Erklärung der Vergangenheit (Rückschau) besser ab, während beide Faustregeln bei der Voraussage der Zukunft überlegen sind. Siehe Czerlinski et al. 1999.
    Zwischen Rückschau und Vorschau liegt eine Welt von Unterschieden. Im Rundfunk höre ich häufig Interviews mit Börsenexperten, die gefragt werden, warum Microsoft oder irgendeine andere Aktie am Vortag gestiegen ist. Sie haben immer eine Erklärung. Das ist die Rückschau; sie wissen bereits, was geschehen ist, und können aus dem reichen Fundus ihres Wissens eine Geschichte herausgreifen, die zu den Fakten passt. Nie werden sie gefragt, ob die Microsoft-Aktie am nächsten Tag steigen oder fallen wird. Das wäre eine Vorhersage, und Vorhersagen müssen sich mit Ungewissheit herumschlagen. Wie verschiedene Studien gezeigt haben, bewegen sich die Vorhersagen von Finanzexperten, wenn sie nach der künftigen Entwicklung von Aktienkursen gefragt werden, auf Zufallsniveau oder darunter.
    Mit einem Weniger-ist-mehr-Effekt haben wir es zu tun, wenn Vorhersagen, die mithilfe einer einfachen Regel getroffen werden, bessere Ergebnisse zeitigen als Vorhersagen, die auf einer komplexen Strategie beruhen. Der Grund liegt nicht darin, dass die einfache Regel die bessere Information zur Verfügung hat. In den oben erwähnten 20 Studien hatte die komplexe Strategie Zugang nicht nur zu den gleichen Informationen wie die einfache Regel, sondern darüber hinaus zu sehr viel mehr. Komplexe Strategien funktionieren in einer ungewissen

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