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Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Titel: Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Gigerenzer
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bestimmt, der mit der Zahl der verheirateten Altersgenossen im sozialen Umfeld und dem eigenen Alter steige. 137 Hätte Darwin sich jedoch von sozialer Nachahmung leiten lassen, so hätte er das Für und Wider gar nicht erst zu Papier bringen müssen.
    Wen soll man heiraten?
    Einmal beriet Benjamin Franklin seinen Neffen darüber, wie man rationale Entscheidungen zum Thema Eheschließung trifft: 138
8. April 1779
    Wenn Du zweifelst, notiere alle Gründe, pro und contra, in zwei nebeneinanderliegenden Spalten auf einem Blatt Papier, und nachdem Du sie zwei oder drei Tage bedacht hast, führe eine Operation aus, die manchen algebraischen Aufgaben ähnelt; prüfe, welche Gründe oder Motive in der einen Spalte denen der anderen in Wichtigkeit entsprechen – eins zu eins, eins zu zwei, zwei zu drei oder wie auch immer –, und wenn Du alle Gleichwertigkeiten auf beiden Seiten gestrichen hast, kannst Du sehen, wo noch ein Rest bleibt. […] Dieser Art moralischer Algebra habe ich mich häufig in wichtigen und zweifelhaften Angelegenheiten bedient, und obwohl sie nicht mathematisch exakt sein kann, hat sie sich für mich häufig als außerordentlich nützlich erwiesen. Nebenbei bemerkt, wenn Du sie nicht lernst, wirst Du Dich, fürchte ich, nie verheiraten.
    Dein Dich liebender Onkel
    B. Franklin
    Franklin, einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika, war ein produktiver Erfinder, Schriftsteller, Maler und Staatsmann und hatte auch klare Vorstellungen von der Ehe. Er hatte zwei Kinder mit seiner Frau Deborah und einen unehelichen Sohn. Wie erwähnt, wird Franklins Bilanzmethode heute als die Methode der Maximierung des erwarteten Nutzens oder der rationalen Wahl gelehrt. Der letzte Satz dieses Briefs lässt erkennen, wie ernst es Franklin damit war. Haben Sie Ihre(n) Partner(in) auf diese Weise gewählt? Ich habe Freunde, die diese Methode lehren, gefragt, wie sie ihre Wahl getroffen haben – vorausgesetzt, sie hatten überhaupt eine. Von ihnen sagte nur einer, ein Entscheidungstheoretiker, er habe Franklins Bilanzmethode angewandt:
    »Hast du die Rechnung durchgeführt, als du deine Frau auserwählt hast?«, fragte ich.
    »Glaubst du, ich bin in eine Disco gegangen, habe mir einen angetrunken und dann eine Zufallsbekanntschaft angebaggert? Nein, ich habe die Berechnung durchgeführt«, erwiderte er, meine Frage sichtlich missbilligend.
    »Kannst du erklären, wie?« fasste ich nach.
    »Ich habe mich hingesetzt und alle Alternativen aufgelistet.«
    Mir schien es unhöflich zu sein, nach ihrer Anzahl zu fragen.
    »Dann begann ich über all die wichtigen Konsequenzen nachzudenken«, fuhr er fort.
    »Wie zum Beispiel …?«
    »Ob es nach den Flitterwochen noch einen Kitzel geben wird; ob sie mir nach der Heirat noch zuhören wird.«
    »Und …?« Das konnte doch nicht alles sein.
    »Ob sie mich in Frieden arbeiten lassen wird. Und sich um die Kinder kümmert. Und all die anderen wichtigen Dinge. Dann habe ich für jede Frau geschätzt, wie wahrscheinlich diese Ergebnisse bei ihr sind. Und den Nutzen jedes Ergebnisses für mich.«
    »Hmm …?«
    »Und die Wahrscheinlichkeiten mit dem Nutzen multipliziert und auf dieser Basis die Frau mit dem höchsten erwarteten Nutzen errechnet. Anschließend habe ich ihr einen Antrag gemacht.«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Sie hat ihn angenommen! Wir sind heute verheiratet.«
    »Was hat sie zu der berechneten Liebesbeziehung gesagt?«
    »Ich habe ihr nie davon erzählt.«
    Es ist leicht, sich über diese Buchhaltermethode lustig zu machen. Doch Online-Partnervermittlungen verwenden genau solche Algorithmen, um Partner zusammenzubringen, und gewichten Hunderte von Persönlichkeitsmerkmalen für das perfekte Date. Doch obwohl diese Websites der Mathematik die magische Kraft andichten, jedem den richtigen Partner zuführen zu können, gibt es keinen Beweis für ihre Wirksamkeit. Niemand weiß, ob die Algorithmen Liebesbeziehungen stiften können, die den traditionellen Methoden der Partnersuche überlegen sind, und helfen, dass ein paar Frösche weniger geküsst werden müssen. 139 Neulich traf ich übrigens meinen kalkulierenden Freund und erfuhr von ihm, dass er inzwischen geschieden ist. Es geht nicht darum, ob Franklins Bilanzmethode nutzlos ist. Mir geht es vielmehr darum, dass sie für eine Welt bekannter Risiken konzipiert ist, nicht für eine Welt der Ungewissheit, und so kommt es, dass die meisten Experten nicht praktizieren, was sie predigen. Das Problem liegt

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