Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)
vermittelte. Die erste, die viele Leute verwirrt, verwendet bedingte Wahrscheinlichkeiten. Erklärungen bedingter Wahrscheinlichkeiten wie etwa Sensitivität und Falsch-positiv-Rate (Falschalarmrate) sind in Abbildung 9.2 dargestellt. Beispielsweise ist Sensitivität die Wahrscheinlichkeit, ein positives Testergebnis bei Erkrankung der Person zu erhalten: p (positiver Test | Krankheit). Eine solche Wahrscheinlichkeit heißt »bedingt«, weil sie nicht die einfache Wahrscheinlichkeit von A ist, sondern die Wahrscheinlichkeit von A, wenn B eingetreten ist. Um mit bedingten Wahrscheinlichkeiten zu denken, müssen wir komplizierte Berechnungen anstellen (wie das missmutige Gesicht auf der linken Seite der Abbildung 9.3 zeigt). Die Formel heißt Bayes-Regel und wurde nach dem englischen Pastor Thomas Bayes (ca. 1702–1761) benannt, dem diese Entdeckung zugeschrieben wird. 155
Wie gesehen ist es einfacher, die gleiche Information durch natürliche Häufigkeiten zu vermitteln. Um ein Problem in Form von natürlichen Häufigkeiten darzustellen, beginnen Sie mit einer Anzahl Menschen (hier: 1000 Frauen), die unterteilt werden in solche mit und solche ohne ein Merkmal (hier: Brustkrebs); diese werden erneut nach Erhalt der diagnostischen Information (hier: Testergebnis) jeweils in zwei Gruppen zerlegt. Die vier Zahlen zu Füßen des rechten Baums sind die vier natürlichen Häufigkeiten, die vier Zahlen zu Füßen des linken Baums bedingte Wahrscheinlichkeiten (Abbildung 9.3). Im Gegensatz zu bedingten Wahrscheinlichkeiten (oder relativen Häufigkeiten) addieren sich natürliche Häufigkeiten immer zur Zahl an der Spitze des Baums. Das Geheimnis liegt darin, dass sie die Berechnung für Sie vereinfachen (wie das lächelnde Gesicht auf der rechten Seite der Abbildung 9.3 zeigt).
Werkzeuge zum Denken
Viele Jahre lang vertraten Psychologen die Ansicht, die Menschen würden aufgrund ihrer begrenzten kognitiven Fähigkeiten sogenannte Bayes-Probleme, wie die Wahrscheinlichkeit einer Krankheit bei einem positiven Testergebnis, nicht verstehen können. 156 Diese angebliche Unfähigkeit dient, wie in Kapitel 1 erwähnt, zur Rechtfertigung einer paternalistischen Politik: Am besten schließt man die Menschen von wichtigen Entscheidungen über Risiken aus – seien sie medizinischer, seien sie politischer Natur. Wir brauchen jedoch nicht mehr Paternalismus, sondern wir müssen den Menschen Werkzeuge zum Denken geben.
Abbildung 9.2: Ein Test kann vier Ergebnisse haben: 1. Das Ergebnis ist positiv, und der Patient hat die Krankheit. 2. Der Test ist positiv, aber der Patient hat die Krankheit nicht. 3. Der Test ist negativ, aber der Patient hat die Krankheit. 4. Der Test ist negativ, und der Patient hat die Krankheit nicht. Die Raten, in denen diese vier Konstellationen vorkommen, heißen (a) Sensitivität (oder Richtig-positiv-Rate), (b) Falsch-positiv-Rate, (c) Falsch-negativ-Rate und (d) Spezifität (Richtig-negativ-Rate). Die beiden Fehler, die bei jedem Test auftreten können, sind schattiert.
Mitte der 90er-Jahre wiesen der Psychologe Ulrich Hoffrage und ich zum ersten Mal nach, dass das Problem nicht einfach in der mangelnden Denkfähigkeit der Menschen begründet liegt, sondern darin, wie die Information mitgeteilt wird. Wenn dieselben Probleme in natürlichen Häufigkeiten dargestellt werden, verstehen die Menschen sie leichter. Seither haben meine Kollegen und ich Ärzten, Richtern und Patienten diese einfache Methode vermittelt. In mehreren Ländern haben nun Schulen Häufigkeitsbäume in ihre Lehrbücher aufgenommen, um den Kindern eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie man über Risiken nachdenkt. Manche Kinder lernen im Unterricht das konkrete Hantieren mit natürlichen Häufigkeiten in Gestalt von bunten Würfeln. 157 Heute empfehlen sogar große medizinische Organisationen wie die Cochrane Collaboration , die International Patient Decision Aid Standards Collaboration und die britische Gesundheitsbehörde Medicine and Healthcare Products Regulatory Agency die Verwendung von natürlichen Häufigkeiten.
Abbildung 9.3: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau Brustkrebs hat, wenn sie ein positives Ergebnis beim Mammografie-Screening hat? Wird die Information in Wahrscheinlichkeiten angegeben, sind die meisten Ärzte und Patienten verwirrt (trauriges Gesicht); wenn sie in natürlichen Häufigkeiten dargestellt wird, erkennen die meisten die richtige Antwort (fröhliches Gesicht). Nur 9 von 98 Frauen, die
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