Riskante Nächte
in dieser Truhe gefunden?«, fragte er Hannah.
Ihre Stirn legte sich in tiefe Falten, während sie angestrengt nachdachte. »Wenn da etwas drin war, dann war es verschwunden, bevor Vater den Laden gemietet hat. Warum fragen Sie?«
»Es ist nicht wichtig. Ich war nur neugierig.«
»Nun, na dann«, sagte Hannah. »Nachdem Joanna Barclay Lord Gavin auf so grausame Weise ermordet hatte, waren ihre Nerven stark angegriffen. Sie weinte bitterlich.«
Joanna Barclay hatte die Truhe mit einem teuren Schloss gesichert. Was immer sie darin aufbewahrt hatte, musste einen beachtlichen Wert für sie besessen haben. Das Schloss war nicht aufgebrochen worden. Es war von jemandem geöffnet worden, der entweder den Schlüssel besaß oder wusste, wie man ein Schloss knackte.
»Es heißt, sie hätte Selbstmord begangen«, bemerkte Anthony und richtete sich wieder auf.
»Dazu wollte ich gerade kommen.« Hannah schüttelte sich theatralisch, als würde sie erschaudern. »Wie ich Ihnen bereits sagte, stürzte Joanna Barclay, nachdem sie ihren stattlichen Liebhaber ermordet hatte, in tiefste Verzweiflung. Sie ging zur Themse, warf sich von einer Brücke und ertrank. Man hat im Fluss einen federgeschmückten Hut gefunden, der sich an einem Stück Treibholz verfangen hatte.«
»Aber die Leiche hat man nie gefunden?«
»Nein, Sir, nie.«
»Vielen Dank, Miss Tuttington. Ihre Führung war sehr lehrreich.«
»Freut mich, dass es Ihnen gefallen hat, Sir.«
Kurze Zeit später verließ er Tuttingtons Museum. Er fragte sich noch immer, was sich in der Truhe befunden hatte und warum eine Frau, die Selbstmord begehen wollte, sich die Mühe gemacht hatte, den Inhalt mitzunehmen. Plötzlich bemerkte er, dass er die vergangenen Monate wie besessen von den Fragen gewesen war, die sich um Fionas Tod rankten. Jene Fragen bedurften noch immer einer Antwort. Doch aus einem unerklärlichen Grund war es jetzt das Rätsel um eine andere Frau, das ihn antrieb.
29
Die Monatsabrechnung war gemacht, und die Bücher wiesen abermals einen stattlichen Profit aus. Madame Phoenix legte den Federhalter nieder und klappte das Geschäftsbuch zu. Die Veränderungen und Verbesserungen mithilfe der Gelder, die ihr der neue Zirkel von Teilhabern zur Verfügung gestellt hatte, zahlten sich wie erwartet aus.
Es ging auf Mitternacht zu. Anzügliches Männerlachen drang von unten aus dem großen Empfangssalon herauf. Die Gentlemen labten sich an dem ausgezeichneten Champagner und Brandy, an Hummer-Kanapees, Entenbraten und all den anderen Hors d’œuvres und Spirituosen, die Phoenix House den Ruf als das eleganteste Bordell Londons einbrachten.
Es waren nicht nur Speisen und Trank, die die reichen, weltmüden Männer anlockten, die jeden Abend herkamen. Madame Phoenix war sich durchaus bewusst, dass die Hauptattraktion die Qualität der Frauen war, die für ein oder zwei lustvolle Stunden zu haben waren.
Die Frauen, die im Phoenix House arbeiteten, waren keine gemeinen Dirnen. Sie waren wohlerzogen, gebildet und elegant. Die meisten von ihnen stammten aus den gehobenen Schichten, Witwen und Frauen, die unvermittelt allein in der Welt standen oder versuchten, die Schulden ihrer Gatten abzubezahlen. Sie hatten Phoenix House der Gosse oder der Themse vorgezogen.
Es klopfte dreimal scharf und nachdrücklich an der Tür.
»Herein«, rief sie und drehte sich um.
Die Tür ging auf. Ein hübsches junges Dienstmädchen in einem Kleid mit eng geschnürtem Mieder, das ihre Brüste voll zur Geltung brachte, knickste flüchtig.
»Der Kunde ist eingetroffen und wird gerade in das Gemach geführt, Madame.«
»Danke, Betsy. Sie können jetzt wieder zu unseren Gästen gehen.«
»Ja, Madame.« Sie knickste abermals und verschwand.
Madame Phoenix wartete, bis sich die Tür hinter dem Dienstmädchen geschlossen hatte, bevor sie quer durchs Zimmer zu einem Bücherregal ging.
Sie zog an einem verborgenen Hebel. Das Bücherregal schwang auf und gab den Blick auf einen schmalen Gang frei, der von einer Wandleuchte schwach beleuchtet wurde. Sie betrat den Gang und schloss die Geheimtür hinter sich.
Der ursprüngliche Besitzer hatte die verborgenen Korridore einbauen lassen, weil er nicht den Dienstboten auf der Treppe oder in den Fluren begegnen wollte. Die verborgenen Gänge hatten es der Dienerschaft erlaubt, sich unauffällig durch das Haus zu bewegen, ohne von ihrem Arbeitgeber oder seinen Gästen gesehen zu werden.
Die ehemalige Besitzerin des Bordells hatte eine andere
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