Riskante Naehe
sicher, dass Clints Verfassung mit ihr zu tun hatte. In ihrer Gegenwart hatte er sich anders benommen als sonst. Offener, liebevoller. Er hatte sogar hin und wieder gelächelt!
Zögernd schob Shane die Tür der Box auf und schaute hinein. In einer Ecke saß sein ältester Bruder. Er hatte ein Bein angewinkelt und die Arme darauf gestützt. Auf seinem Gesicht lag ein so trauriger Ausdruck, dass Shane am liebsten rückwärts wieder hinausgegangen wäre. Aber das konnte er nicht tun. Der Kummer fraß Clint von innen auf, und es würde ihm nicht helfen, wenn jeder darüber hinwegsah. So setzte Shane sich neben seinen Bruder, der inzwischen wieder seine übliche ausdruckslose Maske übergestreift hatte. Clint blickte ihn nicht an und ignorierte ihn auch sonst.
»Was ist los, Clint?«
Erst reagierte er nicht, dann seufzte er. »Nichts. Lass mich in Ruhe!«
»Das habe ich jetzt schon eine ganze Woche getan, aber deine Laune scheint nur immer schlechter zu werden. Also dachte ich, ich versuche mal eine andere Methode.« Das trug ihm einen finsteren Blick ein.
»Lass es!«
Shane erwiderte entschlossen Clints Blick. »Das kann ich nicht. Du bist mein Bruder, und ich mache mir Sorgen um dich. So wie der Rest der Familie auch. Wir möchten dir helfen, aber das können wir nicht, wenn du dich abkapselst und uns nicht an deinem Leben teilhaben lässt.« Shane stieß frustriert die Luft aus. »Wir haben über vier Jahre lang stillgehalten, während du dich immer weiter von uns entfernt hast. Vielleicht ist das auch dein gutes Recht, aber nicht, wenn du deine schlechte Laune an unschuldigen Leuten auslässt.«
Clint blickte ihn an, sagte aber nichts.
Also wagte Shane einen Schuss ins Blaue. »Ist es wegen Karen?«
Clints sherryfarbene Augen verdunkelten sich, ein Mundwinkel zog sich nach unten, bevor er sich wieder im Griff hatte. Treffer!
»Halt dich da raus, Shane!«
»Das kann ich nicht. Vielleicht kann ich dir helfen, wenn du mir sagst, worum es geht.«
Clint lachte unfroh auf. »Das glaube ich kaum.«
Shane zuckte mit den Schultern. »Aber ich könnte es versuchen.«
»Kannst du Karen dazu bringen, unserer Beziehung eine Chance zu geben? Kannst du sie hierher zurückbringen?«
Shane blickte ihn erstaunt an. »Nein, das kann ich nicht.« Clint grunzte. »Aber du kannst es.« Als sein Bruder ihn einfach nur anschaute, wurde es ihm zu viel. »Himmel, Clint! Ich hätte nicht gedacht, dass du einer von der Sorte bist, die einfach ein Nein akzeptiert, ohne vorher alles Menschenmögliche probiert zu haben.«
»Wenn sie mit mir zusammen sein wollte, hätte sie unsere Beziehung nicht beendet. Sie hat sich seitdem nicht mehr gemeldet, nur Mom die Kleidung zurückgeschickt. Gewaschen und gebügelt.«
Shane runzelte die Stirn. »Bist du ganz sicher, dass sie keine Beziehung will?«
Clint blickte Shane mit vor Kummer dunklen Augen an. »Das ist es ja, was mich auffrisst. Noch vor einer Woche hätte ich geschworen, dass uns nichts mehr trennen kann. Aber eine halbe Stunde später war sie einfach weg. Als wäre sie nie da gewesen.« Ganz leise fügte er hinzu: »Aber sie war da. Und sie hat mein Herz mitgenommen.«
»Ein Grund mehr, nicht einfach aufzugeben. Ich hatte dir ja mal erzählt, wie Autumn und ich uns kennengelernt haben. Natürlich war die Situation etwas anders, aber durch ihre Erlebnisse mit ihrem Exfreund hat sie automatisch jeden Mann zurückgestoßen, der sich ihr zu nähern versuchte. Wenn ich gleich aufgegeben hätte, dann wären wir jetzt nicht da, wo wir sind. Wahrscheinlich hätte sie mich mein Leben lang immer auf Abstand gehalten.« Sein Blick wurde sanft. »Was wir dann alles verpasst hätten …«
Clint runzelte die Stirn. »Karen sagte: ›Ich gehöre nach Washington, du hierher‹, als sie wegfuhr. Glaubst du, sie hat mich nur wegen der Entfernung aufgegeben?«
Shane zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Es könnte auch sein, dass sie erst einmal alleine sein wollte, nach dem, was sie erlebt hat. Aber du wirst es nie erfahren, wenn du hier die ganze Zeit in einer Pferdebox sitzt oder deine Mitmenschen wütend anfunkelst.«
Clint stemmte sich in die Höhe. »Du hast recht, es wird Zeit, dass ich etwas unternehme.« Entschlossen ging er auf die Tür zu.
»Was hast du vor?«
»Das weiß ich noch nicht, aber Karen wird bemerken, dass sie mich nicht so einfach loswird, wie sie sich das vielleicht gedacht hat.«
Shane blieb grinsend im Stall zurück.
Die nächsten Tage waren von einer
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