Riskante Versuchung
sich langsam um. In ihren Augen lag ein freundlicher, mitfühlender Ausdruck. „Es ist noch zu früh, um das mit Sicherheit sagen zu können.“
„Bin ich … glauben Sie, dass ich in Gefahr bin?“
„Wir können Sie überwachen lassen“, bot Selma an. „Und Ihr Haus verwanzen. Auf diese Weise können die Agenten, die Sie observieren, alles hören, was bei Ihnen vorgeht …“
„Nein.“ Jess schlang die Arme um ihren Oberkörper. Es war seltsam, in dieser Hitze zu frösteln. „Das will ich nicht. Ich will auch keine Observierung.“
„Nun, ich fürchte, da haben Sie leider keine Wahl“, meinte Selma. „Ein Überwachungsteam beobachtet Rob bereits.“
„Gütiger Himmel.“ Jess wandte sich ab. Ihr war zum Heuen zumute. Oder danach, Rob zur Rede zu stellen. Was hatte er getan? Wovor lief er davon? Er war kein Mörder. Das konnte nicht sein. Oder doch?
„Sie haben mich gefragt, ob Sie in Gefahr sind“, erinnerte Selma sie. „Die Antwort lautet: Ich bin mir nicht sicher. Aber ich sage Ihnen etwas. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich Rob Carpenter heute Nacht weder in mein Haus noch in mein Bett einladen.“
14. KAPITEL
Ian Davis.
Jess kam immer wieder auf den Namen ihres Exmannes zurück.
Sie hatte den ganzen Nachmittag damit zugebracht, eine Liste von möglichen Verdächtigen anzufertigen.
Denn vielleicht hatte Parker Elliot recht, und der Serienmörder war tatsächlich jemand, den Jess kannte. Und sie kannte viel mehr Männer als nur Rob. Warum also sollte nur sein Name auf der Liste stehen?
Sie hatte Kelsey zu Doris gebracht und saß nun auf der Veranda, wo sie lauter Namen auf ein Blatt Papier schrieb.
Ian führte die Liste an, zusammen mit dem unheimlichen Stanford Greene.
Sämtliche Väter ihrer siebenundzwanzig Klavier- und Gitarrenschüler wanderten ebenfalls auf die Liste. Lenny Freeman, der Manager des Pelican Clubs, stand ebenso darauf wie ihr Professor aus dem Kurs in Musiktheorie, den sie letztes Jahr belegt hatte.
Auch Frank Madsens Namen schrieb sie auf. Er kam als Verdächtiger genauso wenig infrage wie Rob - ebenso wie alle anderen.
Tja, und wenn sie schon dabei und die Liste ohnehin absurd war, warum dann nicht auch gleich Parker Elliot dazunehmen? Ein FBI-Agent hätte die perfekte Tarnung. Niemand würde ihn jemals verdächtigen, ein Serienmörder zu sein.
Ja, klar.
Aber da war immer noch Ian.
Vor sieben Jahren, als sie ihn kennengelernt hatte, hätte sie die Idee, dieser Konzertgeiger könnte ein Mörder sein, sehr amüsiert. Dieser charmante, lebhafte, kreative, gut aussehende Ian Davis mochte ja temperamentvoll und irgendwie heftig sein, aber er war kein Killer. Höchstens ein Ladykiller, aber das war etwas anderes. Erst nach ihrer Hochzeit hatte Jess seine dunkle Seite entdeckt - die Depressionen, die Eifersucht, seine tief verwurzelte Versagensangst, seine kaum beherrschbare Wut. Was sie für kreative Intensität und künstlerisches Feuer gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein enormer, unter der Oberfläche brodelnder Zorn. Er war schlichtweg wütend auf die ganze Welt. Auf seine dominanten Eltern, auf die Dirigenten, die sein Fortkommen behinderten, auf die Regeln und Gesetze, die ihn einschränkten, als wäre er irgendein gewöhnlicher Mensch. Und vor allem war er wütend auf Jess.
Er war wütend auf sie, weil sie ihn geheiratet hatte. Er war der festen Überzeugung, sie und das Kind engten ihn ein. Dabei war er es gewesen, der ihr monatelang hartnäckig, ja geradezu verzweifelt den Hof gemacht hatte. Und später war er wütend auf sie gewesen, weil sie sich von ihm hatte scheiden lassen und ihn wieder alleinließ. Er behauptete, sie noch immer zu wollen, aber sie wusste, dass er wahrscheinlich nur das begehrte, was er nicht haben konnte.
Ians Zorn war in den vergangenen Jahren immer weiter an die Oberfläche gedrungen. Er trank immer öfter. Seine gesellschaftliche Fassade und sein Charme bröckelten, sein typischer Sarkasmus wurde beißender. Zudem sah er ungesund und blass aus, als verbringe er viel zu wenig Zeit in der Sonne.
War es möglich, dass Ian am Ende den Verstand verloren hatte? War er zum Mörder geworden, um den inneren Druck loszuwerden?
Jess hatte Parker Elliot angerufen und ihm von Ian erzählt. Der FBI-Agent hatte höflich zugehört und gesagt, sie würden sich die Sache genauer ansehen, nachdem sie ihre aktuelle Spur verfolgt hätten. Doch Jess hatte den Eindruck gehabt, dass Elliot sie nicht ernst nahm.
Was aber, wenn es
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