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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Lesern beschrieben wurde, und also die bekannte Welt. Hier wurde auf breiter Ebene jene Syntax gezüchtet, die man einmal für bemerkenswert gehalten hatte, als sie zu Anfang des Dezenniums in den neuen französischen Romanen auftauchte: die zersplitterte, die Syntax der nivellierten Ereignisse, die jedem Ereignis den gleichen Stellenwert gab und sie alle gleichmäßig voneinander isolierte.
    So sieht ein Ort aus, wo das Bewußtsein einer Zeit entsteht.
    Wenn man den Blick an der Decke entlangwandern ließ, konnte man erkennen, was für kolossale Proportionen der Raum tatsächlich hatte.
    Die Größe der Bodenfläche verdeckten wie üblich in der modernen Bürolandschaft Tische, Wandschirme, Stühle, weiche, dämpfende Teppiche, verdorrte Kaktuspflanzen und Kaffeeautomaten. Nur vereinzelte Details unterbrachen die Monotonie der Raumaufteilung: ein riesiger Käfig mit Wellensittichen auf einem Tisch und ein Karton mit munteren weißen Ratten, die gerade dabei waren, sich einen Weg nach draußen zu nagen, hinter einer Gardine verborgen.
    Dann und wann trafen neue Berichte von dem Funkwagen und seiner Besatzung ein. Einem Gerücht zufolge sollte es in einem Eislager in Söder Barsche geben, ein Motorradkurier nahm sich ein übergangenes Geschäft in der Altstadt vor.
    Ich konnte mir unschwer vorstellen, wie es zu diesem Zeitpunkt in meiner Redaktion aussah: wütende ältere Herren, die mich anzutreffen gehofft hatten, um mir persönlich ihr Abonnement aufzukündigen, schüchterne junge Poeten, ergeben wartend, ein Journalist vom Observer, der mit mir über die Sünde in Schweden sprechen wollte, die Finanzabteilung, die mein Budget einsehen wollte, Doktor Per Meurling, der sich die Wartezeit damit vertreiben würde, einem Mädchen in der Telefonzentrale ein schönes und zutiefst obszönes Märchen aus der M¯ah¯ab¯aratha zu erzählen, über dem sie alle anderen Telefongespräche vergessen würde, bis sein Gespräch schließlich durchkam, Herr Winbladh, der telefonisch Auskunft haben will, ob ich nicht die Gedichte bekommen habe, die er heute morgen abgeschickt hat...
    Ich beschloß, das alles zu vergessen. Das Mädchen erzählte von ihrem Leben. Ihre Knie waren mager, die Hände mit den gepflegten Nägeln nervös und lebhaft. Sie hatte in der Modeabteilung einer der großen Wochenzeitschriften angefangen, wo sie den Mannequins die Kleider aus der Garderobe brachte. In einer Zeitschriftenredaktion nach der anderen hatte sie mit Bildern, mit Layouts gearbeitet: mit den appetitlichen Farbfotos von gustavianischen Wohnzimmern, bevölkert mit neuernannten Regierungspräsidenten, Hummersoßen, mit dem Kronprinzen, dämlich, in der Uniform eines Seeoffiziers, mit naturkrausem Haar und dem ergebenen Blick des unrettbar Verlorenen, Premieren im Vasatheater mit dem Luxuspack und den Gipsmasken in einer schrecklichen, vergoldeten Prozession. All diesen Bildern, die an die Stelle des Lebens zu treten versuchen, hatte sie gedient, treu ergeben und mit einer Ehrenhaftigkeit, die es ihr verbot, Plötzen zu nehmen statt Barsche.
    Sie lächelte ein scheues Lächeln.

Die Kanzlerkonferenz
     
    So setzte die Trauer ihr Werk fort. Der Winter war gekommen, das Eis legte sich langsam und feierlich über die großen västmanländischen Seen, die Höfe versanken immer tiefer im Schnee, das dunkle, schwarzblaue Eis verdichtete sich in den Schleusen des Kolbäcksån. Im frühen Morgengrauen und in der späten Dämmerung gingen die kleinen Kinder mit ihren Ranzen auf dem Rücken zwischen hohen Schneewällen die Wege entlang und wollten nichts als schlafen. Aber aufs Land durfte ich nicht kommen: da gab es allzu viele Ereignisse, allzuviel Welt. Mein Kachelofen in Västerås strahlte im Laufe der Tage eine immer stärkere Wärme aus: welche unsinnigen Mengen von toten Manuskripten, verunglückten Essays, nie abgeschickten Briefen kann so ein alter blauweißer Kachelofen nicht schlucken!
    Je tiefer es in den Winter hineinging, um so zahlreicher wurden die Phantasiegestalten, mit denen meine kleinen Kinder die Zimmer bevölkerten: »Herr Nipson« rief an, »Maj-Britt« wohnte auf dem Speicher, und früh am Morgen, unter ihren roten Decken, hörten sie »Maj-Britts« leichte Schritte, in der Dämmerung lief »Der große Hase« über den Hof.
    Mich beunruhigte es, wenn sie den ganzen Tag lang mit niemand anderem als mit ihren Phantasiegestalten redeten und keinen von uns Erwachsenen eines Blickes würdigten.
    Meine Frau, die klüger ist als ich, sah

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