Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Olof Ekelöf, Professor für Prozeßrecht, nickte mir auf seine trockene, wiedererkennende Art zu, als wollte er sagen: So, auch du, mein Junge? Warum brauchten sie dich als Geisel? Ich landete neben einer freundlichen, etwa fünfzigjährigen Laborgehilfin aus dem paläozoologischen Institut in Uppsala, Vertreterin einer Personalkategorie, die laut der letzten Satzung korporativ im Ausschuß repräsentiert sein sollte, ich borgte mir Streichhölzer, ich balancierte mit Mühe meinen schmerzenden Kopf mit seinem verworrenen Inhalt in den Händen.
Die freundliche Dame erklärte mir, daß ich den gewaltigen Stoß von vervielfältigten Papieren vor mir nicht behalten, sondern mir eins davon nehmen und den Rest weitergeben sollte. Kanzleidiener rollten einen unförmigen Overheadprojektor heran, weitere Kanzleidiener verteilten Diagramme an den Wänden, der Zeigestock wurde aufs Katheder gelegt, flüsternde Assistenten liefen geschäftig mit kleinen Zetteln zwischen den Tischen der Ministerialräte hin und her.
Wurde eine Schlacht vorbereitet, oder war es nur ein Scheingefecht, ein Manöver? Die Ministerialräte knipsten an den Schlössern ihrer Aktenmappen herum, die Kanzleidiener sammelten falsch verteilte Papiere wieder ein, das Hotelpersonal servierte Mineralwasser.
Die große Universitätsreform der sechziger Jahre hatte im großen und ganzen den Universitäten keine Mitbestimmung bei ihrer eigenen Planung und Verwaltung eingeräumt. In dieser Reform ging die Aufteilung der Wissenschaften in hermetisch voneinander getrennte, an das Wirtschaftsleben und die Gesellschaft angepaßte Fächer Hand in Hand mit einer fast totalen Zentralisierung der Macht über die Universitäten.
Die Fakultätsausschüsse, ursprünglich konzipiert als selbständige Organe mit der Möglichkeit, die Ängste und Nöte der Universität unmittelbar der Regierung vorzutragen, waren in letzter Minute durch einen geschickten Federzug irgendwo in den Labyrinthen der Bürokratie auf eine bedeutungslose Gutachterfunktion reduziert worden. Sie waren nunmehr harmlose Ableitungskanäle für die Unzufriedenheit, die nicht ausbleiben konnte, wenn die monatelang ausgearbeiteten Zuschußforderungen der Universitäten jedes Jahr mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks beschnitten wurden und sich damit als illusionistisches Blendwerk entpuppten. Die Universitätspolitik war ein Meisterstück der Kunst der öffentlichen Lüge: auf dem Papier bestand jede Institution unangetastet fort, Pläne wurden niedergeschrieben, Komitees versammelten sich, uralte Einrichtungen wurden beim Namen genannt, als existierten sie noch, Gutachten kursierten zwischen den Instanzen, ohne jemals gelesen zu werden, kurz gesagt: hinter hohen Opernkulissen wirkte eisern die gleiche unsichtbare, zentralistische Hand wie auf so vielen anderen gesellschaftspolitischen Gebieten, hier jedoch mit größerer Konsequenz, mit einer grandioseren Diskrepanz zwischen Wort und Wirklichkeit, zwischen der Konnotation der Wörter und ihrer Denotation, zwischen Sinn und Bedeutung als auf irgendeinem anderen sozialpolitischen Sektor.
Welches Ereignis hatte dieses Treffen veranlaßt? Hatte sich irgendwo durch die Fugen des Gemäuers eine Unsicherheit eingeschlichen, war irgendein Geflüster bis zu einem großen, hellhörigen Ohr vorgedrungen, war irgendeine unendlich komplizierte syntaktische Konstruktion unter ihrer eigenen Schwere zusammengebrochen und hatte den ihr anvertrauten geheimen Inhalt dem Tageslicht preisgegeben?
Einbildungen! Phantasmagorien!
Endlich stand der Kanzler auf dem Katheder. Die geschmeidige, durchtrainierte Gestalt strahlte Vitalität und Gewandtheit aus. Ein jungenhafter Haarschopf fiel ihm in das sonnengebräunte Gesicht. Mit einem fröhlichen Lächeln ließ er seinen Blick über die Versammlung wandern und raschelte einladend mit seinem Manuskript, das diskret auf kleine Zettel im Duodezformat beschränkt war. Das Mineralwasser sprudelte im Glas. Er gehörte dem Typ an, der Anfang April seinen Sportwagen an der Promenade von Cannes entlanglenkt, im September pfeifend über die Golfbahnen von Cornwall schlendert: sein helles, demokratisches Polohemd zeichnete sich von der dunkelgrauen, düsteren Draperie im Hintergrund ab.
Die paläozoologische Laborgehilfin gab mir ein paar starke Tabletten, die sie gegen Menstruationsschmerzen bei sich hatte. Sie wirkten rasch: mein pochendes Kopfweh verschwand: vorsichtig legte ich den Kopf zwischen die Arme. Ein Fragment aus Claudio
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