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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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müßten.
    Dann standen wir in Grüppchen auf den Gängen herum. Durch die Kippfenster des Hotels Foresta fiel die beginnende Winterdämmerung. Schiffe arbeiteten sich durch den Sund. Dort, wo die Brücke am anderen Ufer endet, tauchte verschwommen die aufgetürmte Masse des Värtagaswerks auf, das Gaswerk, in dem Knut Jaensson arbeitete und wo durch Kohlenrauch, Dunst und Nebel, die die strenge Kälte des Nachmittags noch verstärkte, riesige gelbe Flammen aus den hohen Schornsteinen aufstiegen. Es gibt den Ernst. Es gibt die Güte. Ich muß meinen Ernst wiedergewinnen. Irgendwo wird man ihn eines Tages brauchen. Ich kann mich nicht ewig von meiner eigenen Angst zum Narren machen lassen, einer Angst, die mir von Menschen eingegeben wurde, die mir schon lange nichts mehr bedeuten und die sie ihrerseits von Menschen geerbt haben, die schon lange tot sind. Welch ein Narrenspiel ist nicht meine Gebrechlichkeit, meine Angst, meine Furcht davor, daß niemand mich lieben könnte. Und wie sehr habe ich nicht den Kräften des Todes, des Untergangs gedient, indem ich die Liebe verleugnete, die in mir ist. Es gibt nur eine Wahl: die zwischen Gemeinschaft und Untergang, und wir müssen uns entscheiden.
    Ich werde von Dämonen gejagt, wo ich auch bin, verfolgt mich das Geflüster der Konspirationen, man verachtet mich und lacht mir offen ins Gesicht: das große durchdringende Teufelsgelächter des Hohns, das Hohngelächter, das die ausgeschlossenen Wasserspeier an den Außenmauern von Notre Dame in den Raum schleudern.
    Aber hätte das irgendeine Bedeutung, wenn ich nicht selbst mit dem Hohn zusammenarbeitete, wenn ich mich nicht selbst mit dem Tod in mir einließe?
    Die Konspirationen sind da, sie umgeben mich wirklich. Das Hohngelächter läßt sich nicht verleugnen: es ist da. Aber auch Viren umgeben mich: in dem Luftvolumen eines Zimmers sind immer Zehntausende von Virusarten vorhanden, immer ein paar Bakterien der großen Pest. Mit ihnen arbeite ich nicht zusammen. Mein Körper braucht sie nicht, sie berühren mich nicht.
    Ich weiß, daß meine Angst letztlich ein Narrenspiel ist. Ich weiß, daß die Kraft da ist, daß ich zuinnerst aus reinster Kraft bestehe.
    Nicht die Nähe des Todes war es, sondern daß ich mich mit dem Tod einließ. Nicht der Zustand der Welt machte mich trauern, sonder daß ich ihren Zustand als selbstverständlich hinnahm: das ist meine Trauer.
    Geheimnisvoll bewegten sich die fernen, hohen Flammen des Gaswerks. In der Stadt waren die Lichter schon angezündet. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.
    – Was Sie gesagt haben, sagte der jüngste der Ministerialräte, war außerordentlich interessant. Können wir uns beim Lunch nicht zusammensetzen?
    – Was Sie gesagt haben, führt unter anderem zu der Konsequenz, daß die Posten der Professoren abgeschafft und durch ein System von beweglichen Ämtern ersetzt werden könnten. Vielleicht könnten wir uns einmal bei einer Tasse Tee treffen und ein bißchen eingehender darüber diskutieren?
    – Was Sie gesagt haben, erinnert mich an etwas, was ich in einem Artikel in Tiden zu formulieren versucht habe, sagte der dritte Ministerialrat.
    – Der Kanzler würde großen Wert darauf legen, Sie beim Kaffee an seinem Tisch zu haben, sagte ein Bürosekretär, da er leider bisher keine Gelegenheit hatte, Sie zu begrüßen.
    Mit unsicheren Händen entfaltete ich meine Serviette und breitete sie auf meinem Schoß aus. Propere Damen in frischgestärkten Schürzen servierten Schollenfilets, die mit dünnen Zitronenscheiben garniert waren, und harte, halbgare Kartoffeln. Professoren und Beamte plauderten miteinander. Verschlüsse von Bier- und Sprudelflaschen knallten.
    – Haben Sie nach »Letzte Tage und Tod des Poeten Brumberg« eigentlich noch einen Roman geschrieben? fragte ein rotbäckiger kleiner Dozent am Ende des Tisches.
    – In meinem Ministerium ist ein kleines Zielsetzungskomitee in Vorbereitung, sagte ein magerer, sehr gepflegter Herr, den ich nicht kannte. Das heißt, es ist noch keine Vorlage eingebracht worden, aber das kommt noch. Die meisten Mitglieder sind schon benannt, aber könnten Sie nicht vielleicht?
    Eine glänzende Karriere auf dem Ausbildungssektor eröffnete sich mir.
     
    1 . »Mit dem Dolch des Todes/ werde ich mein Herz heilen«

Diskurs über den Briefwechsel des Winters
     
    Nun vergingen die kurzen Tage immer schneller. Die Zeit selbst schien mir Böses oder Gutes zu wollen. Manchmal erwachte ich in der schwarzen Dunkelheit in

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