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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Exportmenschen gekündigt, als er dahinterkam, daß er auf seinen Flugreisen einen Whisky nach dem andern zu trinken pflegte. Man könne keinen Exportkaufmann haben, der nicht wirklich ans Reisen gewöhnt sei. Er hat immer ziemlich viele Prinzipien gehabt.
    – Erstens begreife ich nicht so recht, was daran so schlimm sein soll. jeder Mensch hat doch Perioden der Kontaktlosigkeit. Und zweitens ist mir auch überhaupt nicht klar, wie zum Kuckuck ich dir helfen könnte.
     
    Ich dachte an Siskan. Ich frage mich manchmal, was passieren müßte, damit sie merkt, daß ich deprimiert oder besorgt bin. Aber das ist natürlich meine eigene Schuld. Ich habe sie immer so haben wollen. Meine Ehe läßt sich nicht mit anderen vergleichen. Sie basiert auf der grundsätzlichen Übereinkunft, nicht allzu persönlich miteinander zu werden. Daran ist nichts Merkwürdiges. Es gibt solche Übereinkünfte. Sie können ganz gut funktionieren. Die Ehe war natürlich früher einmal eine Realität. Und zwar in einem Bauernstaat, der um 1860 herum zu verschwinden begann. Heute ist die Ehe eine Art Halbwirklichkeit, keine richtige Fiktion (wie die Mitbestimmung), aber auch keine richtige Wirklichkeit (wie die Tarifverhandlungen), irgend etwas dazwischen, eine Inszenierung ritueller Erwartungen, die die Menschen prägen und ihre Handlungen lenken (ungefähr wie die Landeskirche), obwohl der Unterschied zwischen Beschwörung und Wirklichkeit ihnen doch in die Augen springen muß.
    Trotzdem spürte ich einen ganz verdammten Stich von Eifersucht. Sie reden zu hören, das war wie einen Blick in eine andere Welt zu tun, eine Welt, in der die Menschen offenbar größere Ansprüche aneinander stellten als in meiner.
    Sie sah mich an, sehr forschend, mit großen ernsten Augen. Irgendwas war mit ihnen, ja, das war’s, sie weinte doch tatsächlich! So still und so langsam, eine einzige Träne aufs Mal, eine einzige, die so langsam wuchs, daß man sehr lange hinsehen mußte, um zu entdecken, was mit ihr los war. Und sie sah mich nur immer weiter an. Sehr ernst.
    – Wenn ich nur begreifen könnte, was sie mit dir gemacht haben, sagte sie.
    – Man fühlt sich hier so eingesperrt, sagte ich. Wie in einem Aquarium. Und es ist gar nicht schön, daß du hier sitzt und weinst. Wir gehen lieber ein bißchen spazieren. Wir können uns statt dessen warme Würstchen kaufen.
    Wir hatten ja erst ungefähr fünfundzwanzig Minuten dagesessen, also hatte noch kein Kellner für uns Zeit gehabt. Man brauchte nur aufzustehen und hinauszumarschieren.
    Ich half ihr in den Pelz und zog sie einen Augenblick an mich, so daß ich ihre starken Schulterblätter spürte. Erst da fühlte ich, wie sehr ich sie mochte.
    Wir gingen hinaus, ich behielt den Arm um ihre Schultern. Es war nicht besonders bequem, sie war ein ganz klein bißchen größer als ich. Sie weinte nicht mehr. Wir gingen zum Nybroplan hinunter. Keiner von uns sagte etwas.
    Das Wasser dampfte, als hätte es gekocht. Unruhige Möwen flogen über den offenen Eisspalten herum. Im Dramaten-Theater lief irgendein komisches Stück, das offenbar von Mädchen handelte.
    – Versuch es mir noch mal zu erklären, sagte ich. Ich möchte gern verstehen.
    – Das ist sehr lieb von dir, aber ich glaube nicht, daß du es verstehen kannst.
    – Meinst du, daß er dich behandelt, als wärst du gar nicht da?
    Sie ging schweigend weiter. Wir waren jetzt zum Strandvägen unterwegs, ohne darüber zu reden, wohin wir eigentlich gingen. Ich fühlte mich allmählich zu hungrig, um noch denken zu können. Ich zog sie näher an mich heran. Sie schien es zu mögen.
    Plötzlich wandte sie sich mir in einer Art Wutausbruch zu.
    – Kannst du begreifen, wie es ist, wenn jemand, den du dein ganzes Leben lang gekannt hast, plötzlich ganz fremd ist. Dieselbe Stimme, dasselbe Gesicht, sogar derselbe Tonfall – und trotzdem ein ganz fremder, ein erschreckend fremder Mensch dahinter. Kannst du das begreifen?
    Die Dämmerung brach jetzt sehr rasch herein. Es fiel ein dünner, scharfer, steriler Schnee. Die Autos hatten schon die Scheinwerfer eingeschaltet. Die meisten hatten wahrscheinlich die Scheinwerfer schon den ganzen Tag über angehabt.
    Mich überfiel ein scheußliches Gefühl von Trivialität, von naßkalter, feuchter Trivialität, ein Gefühl, als bestünde die ganze Welt nur aus Schneematsch, leuchtenden Autoscheinwerfern im grauen Dunst und aus Wiederholungen.
    Die ganze Welt bestand nur aus Dingen, die sich immerzu wiederholten. und aus

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