Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
langhaarigen Typen, an denen man sich vorbeidrängeln muß, um zur Treppe und in das richtige Restaurant zu gelangen.
Gott sei Dank gibt es in diesem Gang einen ziemlich kräftigen Portier, der die Schlimmsten rauswirft, sonst könnte man ja keine Damen dorthin mitnehmen. Wenn man erst einmal die Treppe hinaufgekommen ist, herrscht dort oben eine paradoxe Ruhe. Die Empfangsdame ist eine hübsche, angenehme Frau, und alle Kellner bis auf einen sind ziemlich schnell. Auf so etwas lege ich großen Wert, weil ich ein sehr ungeduldiger Mensch bin. Ich hasse es, wenn mich eine Telefonzentrale zu lange warten läßt, und ich weiß nichts Widerlicheres als Restaurants, in denen man zu lange aufs Essen oder die Rechnung warten muß. Da gehe ich nie ein zweites Mal hin. Es kann passieren, daß ich in helle Wut gerate, gerade wenn das Essen kommt, falls man mich in einem solchen Lokal zu lange warten läßt.
Als ich eben zur Tür hineinschlüpfen wollte, stieß ich beinahe mit zwei unwahrscheinlich betrunkenen Finnen zusammen. Ich möchte fast annehmen, daß es Matrosen waren, in dieser Gegend wimmelt es von betrunkenen finnischen Matrosen. Sie schwankten wie Schilfrohre in der Morgenbrise und stützten einander, so gut sie konnten.
– Hör mal, sagte der größere von ihnen im schönsten, singenden västerbottnischen Dialekt, hör mal, bist du hier der Ministerpräsident .
– Ja, ist schon gut, sagte ich.
– Siehst du doch, sagte der andere. Er ist nicht der Ministerpräsident . Das ist kein richtig feiner Mann.
– Doch, zum Teufel, sagte ich. Ich bin ein sehr feiner Mann , und jetzt laß mich gefälligst durch.
– Dann bist du Finanzminister .
– Neein, auch das nicht.
– Doch, du bist Finanzminister .
– Das ist ja alles schön und gut, weißt du, aber ich hab’s jetzt ein bißchen eilig.
– Hör mal zu, wenn du der Finanzminister bist, muß ich mal mit dir reden .
– Ein andermal.
Der andere Matrose, oder was es nun für ein Bruder war, lehnte sich ein bißchen weiter zu mir vor. Ich merkte, daß die Leute auf dem Bürgersteig einen ziemlich großen Bogen um uns machten. In Stockholm herrscht eine enorme Angst vor solchen Gesprächen. Ich glaube, die Leute fürchten sich im Grunde weniger davor, niedergeschlagen oder beraubt zu werden, es ist ja gar nicht so leicht, von jemand niedergeschlagen zu werden, der sich selbst kaum auf den Beinen halten kann. Was sie fürchten, ist dieser klebrige Alkoholikerkontakt. Alkoholiker haben die Fähigkeit, an Leuten klebenzubleiben, sich ihnen mit ihren Problemen, ihrer verdammten Sentimentalität, ihrem kranken, hungrigen Kontaktbedürfnis aufzudrängen.
Ich habe oft das Gefühl, daß sie das nur spielen. Sie schlüpfen in die Rolle des Alkoholikers, weil sie dadurch eine Möglichkeit zum Reden haben, eine Möglichkeit, sich an einen zu hängen, ohne darauf zu hören, was man sagt.
Niemand, da kann man sagen, was man will, ist so verdammt scharf auf mitmenschlichen Kontakt, daß er nicht gern darauf verzichtet, wenn er zu dem Preis hergestellt werden soll, daß der eine Partner das Recht zu haben glaubt, sich einen Dreck darum zu scheren, was man selbst sagt. Das Alkoholikergequatsche ist nichts anderes als eine Form von verzweifelter emotionaler Erpressung. Ich mag das nicht.
– Hör mal, ich bin nicht der Finanzminister, und deine verdammten Probleme interessieren mich nicht im geringsten.
– Aber jetzt hör mal zu, wenn du der Finanzminister bist, kannst du mir doch was erklären.
– ?
– Ja, ich möcht gern wissen, warum alles so verdammt komisch geworden ist.
Er sprach dieses komisch auf eine Art aus, daß es zu einem völlig ausländischen Wort wurde, mit einem ganz unaspirierten k und dem gesamten Ton auf der ersten Silbe. Es klang ausländisch, aber auch ein bißchen verächtlich, fast als wäre die ganze Welt nur ein Scherz.
– Wieso komisch ?
– Das siehst du doch, wie verdammt komisch alles geworden ist. Und wenn du’s nicht siehst, dann bist du ja selber komisch.
– Komm jetzt, sagte sein Kamerad und zog ihn am Arm.
Eine doppelte Polizeistreife kam in raschem Tempo vom Humlegården her. Sie schwankten die Straße hinunter. Ich hätte schwören können, daß sie unfähig wären, zwei Polizisten zu entdecken, die sich aus einem Abstand von zweihundertfünfzig Metern näherten, umgeben von einer Volksmenge, nur hin und wieder auftauchend, aber das waren sie also keineswegs. Besoffenheit ist nichts anderes als eine gesellschaftliche
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