Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
ganz recht, zum Teufel.
Ich überlegte. DER DÜSTERE MARSCH , deutlicher jetzt, klarer, näher, könnte man sagen, pochte in einem unsichtbaren Raum. Da war irgend etwas, das mich auf eine unangenehme, aufdringliche Weise an mich selbst erinnerte , ohne daß ich richtig dahinterkommen konnte, was es war. Ich sehnte Wittfogel herbei, er würde mir vielleicht erklären können, was um Himmels willen ich tun sollte.
Welcher Wittfogel eigentlich? Der wirkliche oder der aus dem Tagtraum?
Die Kinder,
auch von sich selbst verlassen
Auf dem Flughafen in Bromma herrschte Schneegestöber, und bis zuletzt war es fraglich, ob wir überhaupt starten würden. Schließlich konnten wir doch zur Maschine hinausgehen, mit fünfzig Minuten Verspätung.
Johansson trug einen Anorak und wollene Handschuhe und hatte einen Rucksack dabei. Ich kam mir ein bißchen lächerlich vor im Wintermantel, mit Aktentasche und Hut.
Wie auch immer: Es ging los, und da saßen wir nun und tranken unseren Morgenkaffee, umgeben von jüngeren Männern mit viereckigen Aktenmappen und großen, klotzigen Monogrammknöpfen auf ihren breiten Manschetten.
Gott sei Dank schien Johansson genauso verschlafen und genausowenig gesprächig zu sein wie ich. Ich glaube, wir wechselten während der ganzen Reise kein einziges Wort, bis auf das eine Mal, als er eine viereckige Ledertasche mit Schulterriemen unter seinem Sitz verstaute.
– Was hast du da, sagte ich, nachdem wir die Sicherheitsgurte abgeschnallt hatten.
– Ein Tonbandgerät.
– Wozu brauchen wir das?
– Es wird vielleicht nützlich sein.
– Vielleicht.
Die Herren um uns herum versuchten sich an ein paar blöden Morgenwitzen. Es erstaunt mich immer wieder, wieviel von dem alten Vertreterhumor doch in dieser neuen Klasse überlebt hat, wenn ich an einem solchen frühen Morgen im Flugzeug oder im Zug sitze.
Wie dem auch sei, der Mietwagen war zur Stelle und entpuppte sich als ein Volvo, grün und funkelnagelneu. Ich unterschrieb die Papiere und gab sie zusammen mit meiner Scheckkarte dem Mädchen hinter der Theke. Der Flugplatz in Karlstad machte einen ganz geruhsamen Eindruck. Keine Hetze, sehr wenig Leute, niemand schien sich hier zu überanstrengen.
– Soll ich fahren?
– Das ist wohl am besten, dann habe ich wenigstens nicht die Verantwortung, wenn wir uns totfahren.
Hier lag weniger Schnee. Der Wind hatte die Fahrbahn schön frei gefegt. Dann und wann jagte er kleine Wirbel von trockenem, kristallenen Schnee über den Weg. Es war ein guter Wagen, der ruhig und sicher auf der Straße lag.
– Ich glaube ja nicht, daß wir an einem Tag besonders viel schaffen werden.
– Wieviel Uhr ist es?
– Erst Viertel vor neun.
– Wir fahren zuerst nach Sunne hinauf.
– Ja.
Wir hörten uns das Unterhaltungsprogramm im Autoradio an und sahen, wie sich das Tal um uns verengte. Es gab ziemlich wenig Verkehr. Hin und wieder ein Lastzug, vereinzelte Milchtankwagen und im Gegenverkehr riesige Holzfuhren, mit denen ich nicht gern zusammengestoßen wäre. Johansson saß mit der Karte da. Er schien mit der Gegend vertraut zu sein und nickte manchmal wiedererkennend.
– Es ist doch enorm, wie sehr Winter und Schnee eine Landschaft verändern.
– Ja, nicht wahr.
Ich begann ihn immer mehr zu mögen. Er war schon in Ordnung.
– Hast du keinen Hunger?
– Nein, zum Teufel, wir wollen lieber schauen, daß wir weiterkommen.
– Ich hab sonst Apfelsinen dabei.
– Heb sie auf.
Wie sich herausstellte, brauchten wir gar nicht bis nach Sunne hinein. Es war kurz davor, in einem Viertel mit Mietshäusern, wir mußten ein ganzes Stück zurückfahren. Es schienen ganz hübsche Häuser zu sein, relativ neu, mit Balkons und fröhlichen Farben in den Treppenhäusern. Es roch in ihnen nach einer Mischung aus Farbe und Essensdunst. Massenhaft Kinderwagen, mit und ohne Einsatz, standen in einem eigenen Verschlag neben der Eingangstür. Wir marschierten die Treppen hinauf. Johansson als erster, ich hinter ihm.
An der Tür stand der Name Svensson.
– Ja, hier muß es sein. Dann klingeln wir mal.
Eine sehr magere Frau, die aussah wie Fünfzig, aber vielleicht auch jünger war, öffnete die Tür. Wenn das Gesicht nicht so bleich gewesen wäre, hätte es ganz hübsch sein können. Sie trug irgendein recht schlampiges Kleidungsstück, ich hätte nicht sagen können, ob es eine Kittelschürze war oder ein Kleid.
– Guten Tag, Frau Svensson, ja, ich bin also der Professor Johansson, der angerufen hat, und
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