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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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jetzt nicht mehr in dieser Gegend, er war nur als Stellvertreter hier, aber die Akten muß man ja durchs Sozialamt bekommen können. Dann die Untersuchungen im Krankenhaus, sie sind ja eins nach dem anderen ins Zentralkrankenhaus in Karlstad gebracht worden. Und dann gibt es noch das Protokoll des Sozialamts. Das hat ja hier eine sehr gründliche Inspektion durchgeführt.
    Aber eine richtige Erklärung gibt es nicht, soviel ich weiß. Für uns persönlich war es jedenfalls so etwas wie eine Katastrophe. Ja. So war es.
    – Ich bin kein medizinischer Experte, sagte Johansson. Ich bin Ökologe. Ich kann mich nicht in die medizinischen Fragen einmischen, sondern mich interessiert, ob es irgendwelche Umweltfaktoren in dieser Gegend gibt, die die Kinder beeinflußt haben könnten. Ich möchte beispielsweise wissen, woher die Milch kommt, die Sie verwenden, und ob Sie an einer bestimmten Stelle Beeren oder Pilze oder so etwas gesammelt haben. Wenn Sie erlauben, würde ich gern alle Ihre Lebensmittellieferanten durchgehen.
    – Das müßte wohl möglich sein. Die Rechnungen sind hier in den Aktenordnern.
    Sie machte eine Geste.
    – Dürfte ich sie nach Stockholm mitnehmen, selbstverständlich gegen eine Quittung, und sie ein paar Wochen lang auswerten? Ich kann die vom letzten Jahr nehmen. Ich schicke sie natürlich per Einschreiben zurück.
    – Ja, das geht wohl in Ordnung, wenn es nötig ist. Es kann sein, daß ein Teil davon noch bei dem Wirtschaftsprüfer Strömberg ist, der mir bei der Steuererklärung hilft. Aber ich kann ihn morgen anrufen.
    Jetzt muß ich aber wirklich gehen und ein bißchen nach den Kindern sehen. Kommen Sie mit? Wir können doch nachher weitermachen? Sie müssen schon entschuldigen, aber es ist schrecklich viel zu tun.
     
    Der Speisesaal hatte einen gekachelten Fußboden. Einer von den Pflegern, es war übrigens der mit dem Schnurrbart, säuberte ihn gerade mit Hilfe eines Wasserschlauchs und eines langstieligen Schrubbers.
    – Sie sind beim Essen nicht sehr reinlich, wissen Sie.
    Wir nickten. Ein Kind wurde gerade in einer Ecke gefüttert. Es mochte wohl etwa fünf, sechs Jahre alt sein. Die Ärmchen zuckten in heftigen spastischen Bewegungen und stießen ab und zu gegen den Löffel, so daß der Haferbrei, oder was man ihm nun einzuflößen versuchte, weit über den Fußboden hinausspritzte.
    Die Schlafzimmer waren ziemlich klein, mit je vier Betten. Die meisten waren von sehr hohen Metallstäben umgeben, was ihnen das Aussehen von Käfigen verlieh. Es war natürlich ungerecht, aber einige Kinder waren so sonderbar und erschreckend mit ihren riesigen Köpfen, ihren spastischen Bewegungen oder eigentümlichen kleinen Schreien, daß man sich nicht ganz von dem Eindruck freimachen konnte, in einem zoologischen Garten gelandet zu sein.
    Sie wurden gerade ausgezogen. Eigenartig geschwollene Bäuche, halslose Köpfe, die direkt auf dem Brustkorb saßen, Hasenscharten, spitze kleine Gesichter, die nichts Kindliches an sich hatten, sondern eher an unruhige kleine Reptilien denken ließen. Nachthemden oder Schlafanzüge wurden über widerspenstige Ärmchen gezogen, rührende Teddybären über die Gitterstäbe geworfen, und das alles unter einem Winseln, Piepsen und Schreien, das mich fast wahnsinnig machte.
    Einige Kinder trugen offenbar noch Windeln und schliefen auf Unterlagen aus weißem, unangenehmen Plastik, obwohl sie im Alter von zehn oder elf Jahren waren.
    Alles war außerordentlich hygienisch, außerordentlich praktisch eingerichtet. Die weißgestrichenen Metallgitter der Betten konnten herauf- und heruntergelassen werden, waren offenbar aber nur von außen zu schließen.
    Das Schreckliche war der unbeschreibliche Eindruck von Einsamkeit, von Verlassenheit, den diese Kinder machten, als sie nun schlafen gelegt wurden. Man war nicht unfreundlich zu ihnen. Ich sage es noch einmal. Das nicht.
    Nur, daß sie so entsetzlich verlassen waren. Sind das nicht auch andere Kinder, wenn man sie schlafen legt und sie für die Nacht allein läßt?
    Nein. Nicht auf dieselbe Art. Denn andere Kinder haben wenigstens sich selbst zur Gesellschaft, ihre eigenen Gedanken, ihre eigene Furcht, aber trotzdem das geborgene, ja zutiefst geborgene Gefühl, daß sie zumindest von sich selbst gesehen werden. Aber diese Kinder sah niemand .
    – Frau Norberg, sagte ich, wie oft kommen denn die Eltern sie gewöhnlich besuchen?
    – Das ist ganz verschieden. Es gibt Eltern, die jeden oder jeden zweiten Sonntag zu Besuch

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