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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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wilden Versuchen, eine Richtung zu finden, um so schlimmer verrannte er sich anscheinend.
    – So tut doch was: JETZT GEHT ES UM LEBEN ODER TOD , kreischte Maggan.
    Sie war tatsächlich völlig hysterisch; nach einem Leben der Selbstbeherrschung und des geizigen Umgangs mit Kraftausdrücken, nach einem langen västmanländischen Leben, voll von dem, was man »sich durchschlagen« nennt, d.h. aus allen Situationen das Bestmögliche zu machen, unter denkbar schlechtesten Voraussetzungen, mit der schlechtesten Ausrüstung, beim schlechtesten Wetter, bei schlechtesten Möglichkeiten, nach einem Leben voll unglaublicher Hartnäckigkeit und der beharrlichen Gewohnheit, das Maul zu halten und noch einmal anzufangen, nicht aufzugeben, erlaubte sie sich tatsächlich den Luxus eines großen hysterischen Auftritts.
    Ich glaube, wenigstens ein paar von uns, die da ratlos in der Dämmerung herumstanden, spürten einen kleinen Stich von Neid.
    – LEBEN ODER TOD, LEBEN ODER TOD , kreischte die gute alte Maggan im Falsett und tanzte herum wie ein ekstatischer Derwisch in der Gegend von Deera oder Akkaba.
    August, der ein bißchen anders veranlagt ist und jede Form von Luxus ablehnt, brüllte mit dröhnender Stimme.
    – Komm heraus, du Schweinehund, ich schlag dich windelweich!
    Für einen Augenblick wurde es ganz still. Einzig ein munterer Kuckuck ließ sich als die hoffnungsvollste, deplacierteste idiotische Geräuschkulisse, die es je gegeben hat, aus der Richtung von Kolbäck hören.
    Niemand wagte auch nur ein Wort zu sagen. Aber ich glaube, wir alle hatten in diesem Moment ein sehr kompliziertes Verhältnis zu diesem Kuckuck. Wir wußten nicht, ob wir ihn hassen oder lieben sollten, aber für ein paar kurze Augenblicke beherrschte er die ganze Szene.
    Dann begann erneut das Knirschen der Töpfe. Und plötzlich schwankte die ganze Wand, Fensterrahmen aus trockenem alten Holz barsten auseinander, Fensterscheiben fielen eher, als daß sie zerbrachen, und dann kam er heraus, Caliban, das Ungeheuer, der Zerstörer, der Grobian, der verdammte Autohändler.
    Er war nicht gerade schön. Offenbar war er unsinnig betrunken, das Haar hing ihm in die Stirn, er blutete aus mehreren Schrammen im Gesicht, die Haare waren blutverklebt. Am Hemd war kein einziger Knopf mehr, es zeigte Spuren von Erbrochenem. Sogar in diesem Licht konnte man sehen, daß die Augen blind waren, leer vor Wut und Besoffenheit; die Pupillen, die aus diesen blutunterlaufenen Augäpfeln herausglotzten, hatten nichts zu enthüllen , nichts zu berichten. Nur Leere war darin.
    Er war kaum draußen, da nahm er schon einen Stein, der etwa fünfzig Kilo wiegen mußte, und warf ihn mit Nachdruck in das hinein, was noch von der Fensterwand übrig war.
    – Aber jetzt, du Scheißkerl, brüllte August und hob einen Pfahl vom Boden auf.
    Wirklich erschreckend war das Blinde, gleichsam Mechanische in den Bewegungen des Autohändlermonsters. Er war wie ein Roboter, ein Roboter allerdings, in dessen Gleichgewichtsapparat ein technischer Fehler entstanden war, ein Roboter, der hin- und herwackelte, aber doch ein Roboter, der immer im letzten Moment das Gleichgewicht wiederfand. Blindlings wackelte dieses Monstrum auf uns zu, und ich glaube, es war kein einziger unter uns, der nicht dasselbe scheußliche Gefühl hatte, daß sozusagen kein Autohändler mehr in dem Autohändler war, daß ETWAS ANDERES von ihm Besitz ergriffen hatte und jetzt seinen klobigen, riesenhaften, Schnaps ausschwitzenden Körper als Waffe benutzte, gegen uns gerichtet. Es war ein haarsträubendes Gefühl, irgendwie ähnlich dem, das man mit Geistern, Gespenstern und Spukgestalten verknüpft, mit dem Gedanken, daß etwas, das eigentlich kein Leben besitzt, Leben simuliert .
    Alle standen völlig versteinert da.
    Es ist überhaupt keine Frage, daß mein Onkel Kraft hat. Man arbeitet nicht dreiunddreißig Jahre lang im Blechwalzwerk von Sura Bruk, ohne ganz beträchtliche Muskeln zu bekommen.
    Noch als Siebzigjähriger ist er durchaus imstande, mit zwanzigjährigen Amateurringern an den Tankstellen dieser Gegend Armdrücken zu machen.
    Es ist nur so, daß er kein Talent für, wie soll ich es ausdrücken, Kampfhandlungen hat. Und dieses scheußliche Spukgefühl lähmte ihn natürlich genauso wie uns andere.
    Das Ganze hatte etwas Erschreckendes, fast Übernatürliches; ich glaube zwar, dieses Gefühl hat uns alle dann später wieder verlassen, aber niemand, mit dem ich geredet habe, hat es je vergessen, alle sehen

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