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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Irgend etwas flatterte fürchterlich um seine Füße herum, der Unteroffizier begann nervös an seinem Pistolenhalfter herumzufingern, erkannte aber zum Glück, daß es einen schweren Verstoß gegen die Dienstvorschriften bedeuten würde, in der Wachstube Krähen zu schießen, und konnte sich mit einem kräftigen Tritt von dem Untier befreien, das zur Decke hinaufflatterte. Und nun vollführten die beiden Krähen dort oben einen höchst sonderbaren Tanz, so daß die Deckenlampe ins Schwanken geriet und die Papiere von den Schreibtischen wirbelten.
    Wieder fegte ein kräftiger Hagelschauer über den Checkpoint, und plötzlich flatterten die Krähen auf einer eigentümlich zielbewußten Flucht durch die Tür, durchquerten das Wartezimmer und verschwanden durch die offene Eingangstür in den regnerischen Novembertag hinaus.
    – Schon komisch, sagte Reichenbach, verdammt komisch, was so ein Wetter alles anrichten kann.
    – Thinth, wo ist das, sagte Klotz. Mit einem verdrossenen Grunzen gab Reichenbach den Paß aus Thinth wieder heraus: Muß man mich denn immerzu mit diesem Kleinkram behelligen? Schließlich weiß doch jeder, wo Thinth liegt. jetzt machen Sie sich doch endlich mal an die Arbeit!
    – Haben Sie vielen Dank, sagte der junge Mann mit einer angenehmen Baritonstimme und steckte den Paß in die Tasche.
    Wenige Minuten danach überquerte er mit raschen Schritten den Alexanderplatz. Es stürmte so heftig, daß der Würstchenverkäufer an der Weltzeituhr in einer Ecke des riesigen Platzes sich ernstliche Sorgen zu machen begann, was mit seiner Würstchenbude passieren würde, wenn der Wind noch mehr zunähme. Der junge Mann in der Lederjacke ging ruhig, offenbar vor sich hin pfeifend, auf die riesigen neuen Hochhäuser an der Fischerinsel zu.
     
    Aber unter der Lederjacke... Unter der Lederjacke befand sich ein drahtiger, durchtrainierter Körper, der vergeblich sich selbst zu verstehen suchte.
     
    KEIN EINZIGES DING WAR MEHR VERTRAUT
     
    Die Malerin G. hatte in den ersten Stunden das gleiche Gefühl, wie wenn man einen Aufzug betritt und überraschend feststellt, daß alle Knöpfe mit japanischen oder arabischen Buchstaben beschriftet sind.
    Sie hatte schon herausgefunden, daß sie wahrscheinlich in den vergangenen acht Jahren an einem chronischen Rheumatismus im linken Knie gelitten hatte, denn sie merkte plötzlich, daß ein intaktes linkes Knie sich ganz anders anfühlt, als es früher bei ihr der Fall war. Außerdem hatte sie entdeckt, daß sie in den letzten Jahren kurzsichtig geworden sein mußte, denn es gab kein einziges Schild, das sie nicht mit diesen hervorragenden neuen Augen entziffern konnte.
    Aber das waren nur Lappalien, lächerliche Kleinigkeiten, im Vergleich mit allem anderen, was sie entdeckte.
    Ganz offensichtlich waren DIE FARBEN NICHT MEHR GENAU DIESELBEN . Blau sah aus wie »blau«, »rot« wie rot, das schon, aber es war nicht mehr dasselbe Rot, nicht mehr dasselbe Blau. Das neue Blau hatte einen Stich ins Metallische, das neue Rot hatte eine ganz klein wenig höhere Farbtemperatur als sonst bei ihr.
    Und ganz schön machte ihr dieses sonderbare Ding zu schaffen, das sich gerade im linken Hosenbein ihrer Kordjeans befand.
    Es hatte einen eigentümlichen Hang, ein Eigenleben zu führen. Und es strahlte eine ständige, keineswegs unangenehme Unruhe aus. Es schien immerzu irgendwas zu wollen, schien immerzu mit ihr zu reden.
    Sie hätte nie gedacht, daß es sich so anfühlen würde.
     
    Was sie vor allem beunruhigte und sie immer wieder dazu brachte, sich selbst am Kragen zu nehmen, um nicht in Panik zu geraten, war etwas ganz anderes. Es war diese eigentümliche Angst vor dem Fremden , dieselbe Angst, die wir manchmal empfinden können, wenn es in der U-Bahn sehr eng ist und alle plötzlich verstummen, weil die Bahn irgendwo mitten auf der Strecke stehenbleibt, dieselbe lustvolle, merkwürdige Angst, die wir empfinden können, wenn wir spät abends in einer kleinen Bar ein aufregendes Mädchen kennengelernt haben und in einem Taxi mit ihr weit in die Nacht hinausfahren , während der Regen auf die Straßen fällt und den Asphalt schimmern läßt.
    Diese lustvolle Angst spürte die Malerin G. oder vielmehr die Person, die eben noch die Malerin G. gewesen war und die jetzt jemand anders war, die ganze Zeit. Nur viel stärker, viel intensiver.
    Aber wer war sie eigentlich? Und was bedeutet es, ein Mensch zu sein?
    (Ein hebräischer Lyriker, der zu meinen besten Freunden zählt, wurde im

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