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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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zu referieren, und kommt erst irgendwann in der nächsten Woche zurück.
     
    Ich kann es nicht besser beschreiben, aber so kann es wirklich manchmal aussehen. Vergeßt um Himmels willen nicht, daß dies von einem Stellvertreter geschrieben ist. Mein eigentliches Ich hätte es viel besser beschreiben können.
    Aber er versteckt sich ja in einem Sarkophag in Krakau, der alte Schuft! Was zum Teufel soll ich denn anderes tun, als an seiner Stelle zu schreiben!
    Und das alles wie ein verdammter Stein, der einen Abhang hinaufgerollt werden soll. Man packt zu, daß die Adern auf der Stirn zu Bleistiften anschwellen und man blaue Ohren kriegt, und jetzt bewegt er sich wieder, dieses Ungeheuer, und rollt ein Stückchen weiter, bis es Zeit für ihn ist, auf dem nächsten Absatz stehenzubleiben.
    Es ist so tief im November, daß es in der Küche schon dämmrig wird, oder liegt das daran, daß ich allmählich alt werde und meine Augen nachlassen?
    Warum kommt er nicht? Sigismund, wenn du jetzt hier wärst, würde ich dir eins aufs Maul geben, du Siebenschläfer, du Faulpelz, du verschlafenes Mistvieh!
    Wie Hiob. Jawohl, genau wie Hiob. Wie Hiob auf seinem Haufen, auf seinem Stoß von Zeitungen, die alle über das berichten, was wir haben kommen sehen; einen trockenen, kläglichen Schrubber in der Hand und knisternde Brotkrümel unter den Füßen. Und Kartoffeläcker! Bis zum Horizont diese verdammten preußischen Kartoffeläcker, mit ihrem herbstlichen Geruch nach verfaulenden Rüben und nach Kartoffelkraut, das man zusammengerecht hat und in kleinen Haufen verbrennt, so daß die Ebene von einem warmen Feuerschein erleuchtet ist, und die Weidenalleen, die auf den Horizont zutrippeln.
     
    WIE LANGE SOLL ICH MICH NOCH IN DIESEN ENDLOSEN KARTOFFELÄCKERN AUFHALTEN?
     
    Da gluckert und rumort es plötzlich in der Wasserleitung. Es rauscht in dem trockenen Hahn, rauscht und gluckert, und mit einem letzten Gluckern kommt das Wasser wieder, es spritzt aus dem voll aufgedrehten Hahn, daß die halbe Küche naß wird.
    Es spritzt auf meine Brille, die Welt sieht aus wie hinter einem Aquarium, der Schrubber wird ganz von selbst naß, und der zwei Meter hohe Stapel alter Dagens Nyheter auch, Wasserspritzer auf der Stirn, und jetzt ist überall das Geräusch von Wasser zu hören.
    Das ist das Zeichen. Wir fangen noch einmal an. Wir geben nicht auf.
    Und unten auf der Straße schwanken, mitten am Vormittag, zwei betrunkene Kerle daher, von einer Seite des Bürgersteigs zur anderen.
    Wo habe ich sie bloß schon gesehen?
    Ich lehne mich lebensgefährlich weit aus dem Fenster, um zu sehen, ob sie auch hier in der Kantstraße versuchen werden, in mein Haus einzudringen. Aber plötzlich sind sie wie vom Erdboden verschluckt.
    Ein Windstoß schlägt das Fenster mit einem Knall zu. Ein anderer Wind, ein komischer Wind, den ich fast schon vergessen hatte.
     
    WENN ES AN DER TÜR KLINGELT, MACHE ICH NICHT AUF
     
    Im nächsten Moment klingelt es natürlich an der Tür.

Spiegelwelten
     
    Wachtmeister Reinhardt Klotz, Angehöriger der Volkspolizeitruppen der Deutschen Demokratischen Republik, ein gutmütiger kleiner Mann mit rotgeränderten Augen, dünnem rotblondem Haar und viel zu großen Ohren, kratzte sich gerade hinter dem rechten.
    Ein für November äußerst ungewöhnliches Phänomen, ein heftiges Gewitter mit starken Hagelschauern, fegte über die beiden Hälften der Stadt. Die Grenzpolizisten, die die Aufgabe hatten, durchreisende Wagen am Checkpoint Charlie zu kontrollieren, waren schon völlig durchnäßt, ihre Regenmäntel knatterten unter den bereits erbsengroßen Hagelkörnern.
    Ein exzentrischer Herr in einem alten amerikanischen Buick mit dem Kennzeichen von Panama konnte auf diese Weise nicht weniger als zwölf Exemplare von Pseudodionysius Areopagitas’ Schrift »Von der himmlischen Hierarchie« einschmuggeln, die er elegant in den Radkappen des Wagens versteckt hatte.
    Der Hagel machte es ganz einfach unmöglich, längere Zeit in den Wagen herumzustöbern.
    In dem schmalen Gang des Wartezimmers am Checkpoint roch es scharf nach Bohnerwachs und Desinfektionsmitteln. Zwei nicht mehr ganz nüchterne finnische Matrosen kamen immer wieder mit ihren mehr oder weniger sonderbar ausgefüllten Valuta-Erklärungsformularen zum Schalter, wurden vom Hauptgefreiten Alexander Kluge zurechtgewiesen und trabten ganz geknickt zu dem kleinen Schreibpult zurück. Sie hatten schon Formulare zu einem beträchtlichen Wert verbraucht, und ihre

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