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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Küchenhandtuch. Schließlich gibt es doch noch Recht und Ordnung, dachte ich.
    Tatsächlich – die Briefkastenklappe war von außen geöffnet worden. Zwei blaue Augen starrten unverwandt in die Diele hinein. Der schmale Briefkastenschlitz mit den starren blauen Augen erinnerte auf eine so komische Weise an die beiden Augen im Warenzeichen auf den Kakaopackungen der Firma Marabou, daß ich laut loslachen mußte.
    – Mach auf, sagte die Stimme hinter dem Briefkastenschlitz mit einem starken, singenden finnischen Akzent, mach auf, zum Teufel!
    – O nein, sagte ich.
    – Du sollst dem König die Tür aufmachen.
    – Was für einem verdammten König?
    – Dem König.
    – Versuch bloß keine dummen Tricks, sagte ich.
    – Ich komme aus Savolaks, und ich mache keine Tricks, sagte die Stimme auf der anderen Seite. Ein enormer Alkoholdunst drang durch den Briefkastenschlitz.
    – Nein, sagte ich.
    Und siehe da, die Briefkastenklappe wurde mit einem Knall wieder geschlossen. Ich hörte hinter der Tür ein paar ärgerliche Repliken auf finnisch, dann liefen die beiden die Treppe hinunter.
    Ich kehrte zu meinem Aufwasch zurück und entdeckte, daß das Wasser im Spülstein übergelaufen war, weil ein paar Kartoffelreste den Abfluß total blockiert hatten. Der ganze Küchenfußboden stand schon mindestens einen halben Zentimeter unter Wasser.
    – Sonderbar, sagte ich vor mich hin, entweder gibt es zu wenig Wasser oder zu viel, entweder ist es trocken wie in der Wüste, oder alles ist gleich überschwemmt – es herrscht einfach keine Ordnung mehr in diesem Haus, das ist die reine Wahrheit.
    Ärgerlich kehrte ich an meinen Schreibtisch zurück und versuchte, ein bißchen zum Arbeiten zu kommen. Kaum hatte ich ein paar Zeilen geschafft, als ich von einem schauerlichen Lärm auf der Kantstraße dermaßen gestört wurde, daß ich das Fenster aufmachen und nachsehen mußte, was um Gottes willen da draußen los war. Nach dem wilden Hupen zu schließen, das von dort unten aufstieg, mußte offenbar die ganze Straße blockiert sein.
    Ich machte das Fenster auf. Der Krach war wirklich ohrenbetäubend. Eine Autoschlange schien sich von meiner Straßenkreuzung praktisch bis zum Savignyplatz zu stauen.
    Einige von den Autofahrern waren sogar ausgestiegen, sie standen auf der Straße und drohten mit den Fäusten.
    Die Notrufsäule an der Ecke Kantstraße-Fasanenstraße ließ wild ihr Blaulicht kreisen, und eine kleine Gestalt tanzte ganz begeistert um den Apparat herum. Ich lehnte mich so weit hinaus, wie ich nur wagte, und siehe da, es war doch tatsächlich der Zauberer von Kreuzberg, der glücklich herumtanzte und abwechselnd auf seiner Flöte spielte und mit hoher und höhnischer Stimme sang:
     
    KEINE LEICHE IN DIESER ECKE, KEINE LEICHE IN DIESER ECKE
     
    Zuerst dachte ich, er sei der Anlaß für diesen ganzen Verkehrsstau (die Schlange der wild hupenden Autos und die Reihe der fäusteschwingenden und fluchenden Fahrer erstreckte sich jetzt allem Anschein nach bis zum Ernst-Reuter-Platz).
    Als ich mich ein letztes Mal lebensgefährlich weit aus dem Fenster lehnte, entdeckte ich, daß die Ursache vor meiner eigenen Haustür stand.
    Ein riesiger, glänzendschwarzer Buick Oldsmobile, mit der Hupe außerhalb der Fahrerkabine und einem in Leder gekleideten Chauffeur, war ganz einfach mitten auf der Straße vor meiner Tür stehengeblieben.
    Vier Motorradpolizisten in weißer Lederkleidung umgaben den Wagen von allen vier Seiten und standen jetzt lässig an ihre Motorräder gelehnt, die Handschuhe auf den Sätteln und eine Zigarette im Mundwinkel, völlig gleichgültig gegenüber dem Höllenlärm hinter ihnen.
    Von den glänzendschwarzen, blankgeputzten Kotflügeln des Oldsmobiles ragte zu beiden Seiten eine Standarte auf.
    Ein Windstoß brachte die beiden Standarten in Bewegung – es war überhaupt ein Tag mit sonderbar viel Bewegung in der Luft – und mit einem kleinen Schauder des Unbehagens sah ich bestätigt, was ich schon die ganze Zeit geargwöhnt hatte: Der Wagen führte das mittelalterliche polnische Reichswappen mit seinen charakteristischen Adlern.
    Ich beschloß, so zu tun, als hätte ich mit der ganzen Sache nichts zu schaffen.
    Eine Minute darauf klingelte es wieder an der Tür. Ich sah ein, daß ich nichts anderes erreichen würde, als eine peinliche Situation noch peinlicher zu machen, wenn ich jetzt nicht aufmachte.
    Als erstes sah ich die finnischen Matrosen. Diesmal trugen sie aber schwarze Samtanzüge mit

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