Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
und sie lief nun mit einer Raupe hier auf. A usgerechnet sie, die sie vor gerade mal 17 Stunden zum ersten Mal im Leben überhaupt auf so einem Gerät gesessen hatte.
Viel lieber hätte Rita allerdings im Moment gewusst, wo Ewald steckte. Sie ging eigentlich davon aus, dass er auf dem Gelände sein musste, wo sonst sollte er mit dem Moped hingefahren sein. Und wo sonst sollte sie den Mann suchen, wegen dem sie quer durchs ganze Land gefahren ist und der dann nachts im schönsten Moment mit einem klapprigen Moped durchgebrannt war.
Rita bemerkte natürlich die Blicke der anderen Raupenfahrer, als sie über das Gelände fuhr. Sie hatte nicht geahnt, dass es so viele Planierraupen und zu sportlichen Zwecken hergerichtete Baumaschinen gab. Es mochten bestimmt an die fünfzig Fahrzeuge sein, für Zahlen hatte sie schon immer einen Blick gehabt. Die meisten der Geräte sahen modern aus und fabrikneu wie frisch aus einem Spielzeugladen für Männer. A uf einem Komatsu-Radlader war gar ein Pin-up-Girl aufgemalt, und zwar so kunstvoll, dass es Rita schauderte beim Gedanken daran, was es gekostet habe musste. Der Kerl, der auf dieser Komatsu saß, sah allerdings so aus, als sei er noch nie einer leibhaften Frau so nahe gekommen wie der A irbrush-Amazone auf seiner Motorhaube.
Manche der Maschinen standen noch auf T iefladern, andere wurden schon heftigst bewegt. Es sah aus, als machten die Fahrer A ufwärmübungen mit ihren Geräten: Sie gaben V ollgas, bremsten ab, hoben und senkten die Schaufeln, ließen die Fahrzeuge auf der Stelle drehen, dass der Kies nur so spritzte, oder machten regelrechte Kunststückchen. Ein Mann mit langen Haaren, der eine enge silbergraue Kombi trug, samt seinen Initialen am Revers, ließ seine Liebherr-Raupe, eine nagelneue PR 754 Litronic mit 340 PS , quasi herumhüpfen, als wolle er die Gesetze der Schwerkraft aufheben. Er drehte mit dem Fahrzeug auf der Stelle, gab Gas, bremste dann urplötzlich ab, gab wieder Gas, bis die Litronic sich bei jedem Lastwechsel immer weiter aufschaukelte und schließlich herumhüpfte wie ein eiserner Geißbock auf Koks. V ielleicht gab es ja hier eine Disziplin »Raupentanz«, dachte Rita, und als eine, die jetzt selbst mit einem Kettenfahrzeug fuhr, wusste sie, wie viel Übung hinter solchen Figuren stecken musste.
Die meisten der Fahrer trugen Rennanzüge aus synthetischem Material und kamen Rita vor wie Eisschnellläufer, die in einen Farbtopf gefallen waren. Beim zweiten Blick bemerkte Rita, dass am Steuer eines besonders wild herumhopsenden Radladers eine junge Frau saß, deren langes blondes Haar unter einem Sturzhelm hervorquoll.
Sofort war Rita klar, dass die Fiat-Allis, auf der sie saß, der älteste Schrott der ganzen V eranstaltung war. Sie spürte die mitleidigen Blicke, merkte, wie sie belächelt wurde. A uch wenn Rita nur ein paar Kilometer von hier entfernt aufgewachsen war und den Menschenschlag zu kennen glaubte, kam ihr das V olk auf dem A real fremd vor. Sie war vor Jahren hier weggelaufen, weil sie es zuhause nicht mehr ausgehalten hatte, aber die Menschen hier schienen sich verändert zu haben. V iel hatte sich getan seit der W ende, Rita sah den Leuten an, dass sie krampfhaft nach einer Identität suchten, und so mancher hatte sie wohl irgendwo zwischen den bunten Baumaschinen gefunden. A uch viele von denen, die nicht selbst auf Raupen, Radladern oder Schaufelbaggern saßen, wirkten wie verkleidet: Überall sah Rita A nlehnungen an W estern-Kostüme, wie sie auch auf den letzten Katalogseiten der A usrüster für A rbeitsbekleidung angeboten wurden. Rita kannte diese Kataloge aus dem Büro und hatte sich immer schon gewundert, was Cowboy-Hüte, Cowboy-Stiefel und Cowboy-Krawatten mit A rbeitskleidung zu tun haben sollten. A us einem Factory Outlet für A rbeitsbekleidung schien es Cowboy-Stiefel, Stetson-Hüte und T exas-Dirndl auf die Mecklenburger Caterpillar-Community niedergehagelt zu haben.
Überall waren Imbissbuden aufgebaut, die Currywürste, Pizza, Pommes frites, Bouletten und auch Räucherfisch anboten. Ein paar Männer in amerikanischen T arnanzügen hatten eine alte Gulaschkanone der Nationalen V olksarmee angeheizt, ein paar Harley-Davidson-Fahrer um ihre Motorräder herum ein Lager mit Bierbänken errichtet und eine eigene Bierzapfanlage mitgebracht. Das Ganze hatte eine ausgemachte V olksfest-Atmosphäre, für Kinder gab es die obligatorischen Hüpfburgen, W urfbuden und sogar ein paar alte Feuerwehrspritzen, um sich
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