Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
wäre der Leibhaftige hinter ihm her, quer über den Dorfplatz, an der Kirche vorbei, immer weiter in die Nacht hinein.
»Ewald!«
Rita begriff nicht, was los war und ob sie vielleicht ein falsches W ort gesagt hatte. Dann rannte sie ihm hinterher, aber in der Dunkelheit sah sie nur schemenhaft, wohin Fricker verschwunden war. Plötzlich hörte sie ein Geräusch, wie wenn ein Moped angetreten wurde, zweimal. Dann heulte ein Zweitaktmotor auf, und ein paar Sekunden später raste Ewald auf einem alten Schwalbe-Moped an ihr vorbei, die Dorfstraße entlang, quer über den Kirchplatz und dann genau in Richtung Norden. Rita versuchte noch, dem Moped nachzulaufen, nach ein paar Schritten erkannte sie aber die Sinnlosigkeit ihres T uns.
»Rita?«
Sie drehte sich um, Niels Priplow stand halbnackt am obersten Fenster des Pfarrhauses.
»Alles in Ordnung mit dir? Hat er dir was getan?«
Rita sah wieder in die Richtung, in der Ewald verschwunden war, immer noch hörte sie den Zweitaktmotor in der sternenklaren Mondnacht.
»Rita, komm rein, wir trinken noch etwas und reden.«
»Lass mich in Frieden, Niels!«
Traurig senkte sie den Kopf und ging zur Raupe, die immer noch vor der Kirche stand. Beinahe wäre sie über Ewalds A kkordeon gestolpert, das neben dem Feuer auf dem Boden lag. Sie hob es auf und wusste, dass er es brauchte. Und sie wollte auch nicht einsehen, dass das jetzt das Ende dieser komischen Reise gewesen sein sollte. Ein klein bisschen hatte sie auch A ngst, Ewald könnte sich etwas antun. Sie legte das A kkordeon vorsichtig in den Koffer, hob ihn auf die Raupe, stieg auf, ließ die Maschine an und fuhr los, genau in die Richtung, in der Ewald verschwunden war. Und es klang schon fast wie ein Hohn, als sie aus dem W äldchen hinter dem Friedhof ein Stöhnen hörte, das nur von Mirko stammen konnte, der röhrte wie ein brünstiger Hirsch.
7
D ie Sonne stand noch sehr tief, als Karl Zwerger die T ür des alten Schuppens aufwuchtete, am Rand der W iese, die sich nach W esten hin an das Kiesgrubengelände anschloss. Karl war früh aufgestanden, hatte sich einen starken Kaffee gegen seinen schweren Kopf gemacht und war in seine alte graue Fliegerkombi geschlüpft. In dem Schuppen stand sein Cosmos- UL -Trike, ein schwerkraftgesteuertes Ultraleichtflugzeug mit einem Rotax-Zweitaktmotor. Karl war schon geraume Zeit nicht mehr damit geflogen, aber wenn der Rotax anspringen würde, dann brächte er die Cosmos auch in die Luft. Schwitzend zerrte er das Fahrgestell und die T ragfläche nach draußen auf die W iese und machte sich daran, das Gerät aufzurüsten.
Eine halbe Stunde später war er so weit. A us einem Kanister füllte er den T ank bis zum Kragen auf. Damit konnte er gut dreieinhalb Stunden in der Luft bleiben und kam etwa 450 Kilometer weit, wenn er keinen wesentlichen Gegenwind hatte. Er würde also einmal landen und nachtanken müssen.
Gerade wollte er probeweise das Starterseil ziehen, als plötzlich Lipka neben ihm auf der W iese stand. Lipka hatte immer noch den weißen A nzug an und sah aus, als habe er die Nacht ohne wesentlichen Schlaf verbracht.
»Herr Zwerger, ich glaube, es wird Zeit, dass wir mal Klartext reden.«
Karl flutete den V ergaser und zog das Starterseil einmal durch, ohne die Zündung eingeschaltet zu haben, um den Motor erst mal mit Sprit zu versorgen. Lipka fummelte ein Stück Papier aus der Innentasche seines Sakkos.
»Ich habe hier einen Überweisungsträger gefunden: Da haben Sie die Sozialversicherung für Ihre Mitarbeiter überwiesen. V on einem Konto, das ich bislang gar nicht kannte. Und da habe ich Geld gefunden, Herr Zwerger. Eine Menge Geld.«
Karl flutete den V ergaser nochmals, ohne Lipka anzusehen.
»Ich würde mir wünschen, Sie hätten auch etwas vom entgegenkommenden W esen Ihrer Gattin.«
»Verschwinden Sie, Lipka.«
Der Konkursverwalter dachte gar nicht daran zu verschwinden.
»Wie Sie wollen, Zwerger, dann eben hier. Ihr Konkurs ist Murks. Sie haben sämtliche V ermögenswerte beiseitegeschafft, ziemlich dilettantisch übrigens.«
Karl ließ vom V ergaser ab. Lipka dozierte weiter.
»Ich stehe jetzt vor folgender Sachlage: Entweder ziehe ich das mit Ihrer Frau durch, lasse alles auffliegen, und Sie bluten. A ber richtig.«
Karl überlegte kurz.
»Oder?«
»Oder wir beide machen das gemeinsam, ohne Ihre Frau, fifty-fifty. Ich fasse noch einmal zusammen: entweder fifty-fifty, oder ich übergebe die Sache morgen früh dem Staatsanwalt:
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