Ritter 01 - Die Rache des Ritters
ist nicht alles, eh? Ich wage die Vermutung, dass du auch seine Geliebte bist. Aber da ist irgendwie noch mehr … «
»Ich habe begonnen, sehr viel für ihn zu empfinden«, gestand sie ruhig ein.
»Ahh«, entgegnete Merrick mit offensichtlicher Zufriedenheit. »Dann scheint es, dass deine liebevolle Fürsorge nicht nur dem jungen Alaric geholfen hat.«
»Was meint Ihr?«
»Er ist sanfter geworden. Ich habe es in seinen Augen gesehen, als er vor einigen Tagen nach Wynbrooke gekommen ist, und jetzt ist es noch stärker geworden. Der Junge, den ich kannte, scherte sich nicht um irgendjemanden außer sich selbst und seinen Hass.«
»Der Junge? Ihr kanntet Gunnar als Jungen?«
»Aye, ich kannte ihn. Vorher … und nach – «
»Der Belagerung«, beendete Raina den Satz für ihn.
»Es war keine Belagerung«, flüsterte Merrick. »Es war ein Gemetzel.«
Das Leid in der Stimme des alten Mannes ließ Raina die Augen schließen. Der Lauf der Zeit hatte wenig dazu beigetragen, die Erinnerung auszulöschen, auch nicht bei ihm. »Was ist an jenem Tag geschehen, Merrick?«, fragte sie und wappnete sich gegen die ganze schreckliche Wahrheit. »Bitte, ich muss alles wissen.«
17
Als Raina eine ganze Weile später in Gunnars Kammer zurückkehrte, war ihr das Herz so schwer wie ein Stein. Weil Merrick nicht wusste, wer sie war, hatte er keine Einzelheit von dem verschwiegen, was vor dreizehn Jahren auf Wynbrooke geschehen war. In stummem Entsetzen hatte sie alles erfahren: William Rutledges Tod beim Turnier, der darauf folgende Angriff auf Rutledges Burg, das blutige Nachspiel nach der Belagerung und den schrecklichen Schmerz, den der Junge ertragen hatte, der Gunnar gewesen war.
Nachdem sie all das gehört hatte, wie konnte sie da erwarten, dass Gunnar auch die andere Wange hinhielt und verzieh? Heilige Muttergottes, aber hätte sie eine solche Qual erdulden müssen, wäre sie sich nicht sicher gewesen, ob sie selbst die Charakterstärke oder Nachsicht gehabt hätte, zu vergeben und einfach weiterzuleben. Und was ihre Bitte an Gunnar betraf, ihrem Vater eine Chance zu geben, seine Handlungen zu erklären – was würde ihr Vater denn sagen können? Was würde eine solche ungerechtfertigte, skrupellose Gewalt denn entschuldigen?
Obwohl sie Merricks Ausführungen über die Taten ihres Vaters schmerzten, fühlte sich Raina seltsamerweise dankbar, denn die Wahrheit hatte sie auch befreit. Nie mehr würde sie in Unwissenheit leben, abgeschirmt von der Wirklichkeit. Obwohl sie in eine Lüge hineingeboren worden war, würde sie ihr Leben als ihr eigenes zurückgewinnen, und sie würde sofort damit beginnen.
Sie öffnete die Tür des Schlafgemachs und sah Gunnar am Fenster stehen. Er wandte sich um, als sie eintrat und die Tür hinter sich schloss. Trotz seiner Armwunde hatte er es irgendwie geschafft, seine Tunika anzuziehen. »Ich habe fast den ganzen Vormittag geschlafen«, sagte er, als Raina zu ihm trat.
Sanft legte sie die Arme um ihn. Er versteifte sich und hielt den Atem an, ehe er sich wieder entspannte. Er umfasste ihre Arme mit seinen starken, von vielen Schlachten rauen Händen und stieß einen Seufzer aus, als Raina ihre Hände nach unten gleiten ließ und nach dem Saum seiner Tunika griff. Seine Stimme war heiser, zögernd. »Oh, Lämmchen … Raina, was machst du?«
Sie sagte nichts, als sie seine Tunika hochzog und ihn drängte, die Arme zu heben, damit sie ihm das Gewand ausziehen konnte. Er lachte leise, nervös, wie es schien, aber er folgte ihr. Sie zog ihm die Tunika über den Kopf und ließ sie auf den Boden fallen.
»Raina – «
Sie beachtete die Anspannung in seiner Stimme und seines Körpers nicht, als sie die Hände über seinen Rücken gleiten ließ, seine Schultern umfing und jede Erhöhung, jede Fläche in ihre Erinnerung aufnahm. Sie beugte sich vor, um die Narbe zu küssen, die sich über fast den ganzen Rücken hinzog, eine zärtliche Entschuldigung an den Jungen, der sie erlitten hatte und die bezwingende Zuwendung an den Mann, der sie jetzt trug.
Gunnar stöhnte leise, als ihre Lippen seine Haut berührten, ihn kosteten, ihn wollten. Als sie seinen Nacken küsste, wandte er sich in ihrer Umarmung um und griff nach ihren Armen. Er hielt Raina ein Stück von sich, auch wenn sein verhangener Blick verriet, dass er sie fest an sich ziehen wollte. »Hast du überhaupt eine Ahnung, was du da tust?«, knurrte er.
»Aye«, erwiderte sie ohne Zögern. »Das weiß ich.« Und sie kehrte in seine
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