Ritter 01 - Die Rache des Ritters
du bis jetzt nur das gesehen, was du sehen wolltest«, meinte Gunnar. »Gestern Nacht hast du den gesehen, der ich wirklich bin, was ich die ganze Zeit gewesen bin.«
»Nein«, widersprach sie, »der Mann, der genau hier gestern Morgen gesessen hat, der mich mit solcher Zärtlichkeit geküsst hat – «
»Ist derselbe Mann, der dich aus deinem Heim entführt hat und dich gegen deinen Willen hier festhält.« Er legte die Hand unter ihr Kinn, damit sie ihn ansah. »Derselbe Mann, der dich so sehr begehrt, wie er noch keine Frau zuvor begehrt hat und gewiss keine andere begehren wird.«
Raina wandte sich ab und versuchte zu leugnen, was sie in seinen dunklen Augen gesehen hatte. Sie war nicht bereit, es zu benennen, und wollte es doch so gern glauben.
Gunnars Stimme wurde sanfter, war aber voller Entschlossenheit. »Es ist auch der Mann, der ohne eine Spur Mitleid jeden Schurken töten würde, der dir Schaden zuzufügen droht.«
»Nicht«, sagte sie. »Sag nicht, dass du es für mich getan hast.«
Er sah sie eindringlich an. »Du bist der Grund, warum ich Burc gestern Abend nicht getötet habe. Hättest du dort nicht gestanden, ich schwöre, ich wäre nicht fähig gewesen, mich zurückzuhalten.« Er berührte ihre Wange und umfing behutsam ihr Gesicht. »Ich wünschte, du hättest mich nicht so erlebt, aber ich werde mich nicht für das entschuldigen, was ich getan habe. Und wenn du mich jetzt nur noch voller Angst betrachten kannst … oder Abscheu … dann ist es eben so. Für mich ist es ein kleiner Preis, den ich zahle, um dich ansehen zu können und zu wissen, dass es dir gut geht.«
»Es wird mir nicht gut gehen, wenn du die gleiche Wut gegen meinen Vater kehrst. Hast du daran schon gedacht?« Er ließ die Hand sinken. Raina sah, dass seine Augen sich verdunkelten und seine Miene verschlossen wurde, aber sie konnte die Frage nicht zurückhalten, die ihr über die Lippen kam. »Ist es denn überhaupt von Bedeutung, was ich empfinde, wenn du deinen Rachefeldzug fortführst?«
Sein Gesicht blieb angespannt, hart wie Granit und unnachgiebig.
»Nein«, flüsterte sie. »Was für dich zählt, ist nur dein eigener Schmerz, deine eigene Auffassung von Gerechtigkeit.«
Sie hätte von ihm erwartet, dass er vor Wut explodierte, aber seine Reaktion war völlig anders. »Dein Vater hat alles zerstört, was mir etwas bedeutet hat. Und was die Gerechtigkeit angeht, nun, an seinen Händen klebt das Blut vieler Leben. Ihm das seine zu nehmen, wäre nicht annähernd ein Ausgleich dafür.«
Raina schluckte das Mitgefühl hinunter, das ihr plötzlich die Kehle zuschnürte. »Und das ist es, was du willst? Den Ausgleich?«
»Auge um Auge.«
»Rache ist nicht die einzige Antwort.« Ihre Stimme klang verzweifelt, selbst in ihren Ohren, aber es war ihr egal. Denn sie war verzweifelt. »Gunnar, ich kann nicht länger abstreiten, dass mein Vater an dem beteiligt war, was auf Wynbrooke geschehen ist. Was dir und deiner Familie widerfahren ist, war tragisch und unentschuldbar. Die Zeit kann nicht ändern, was war, aber sie kann die Menschen verändern. Wer immer auch mein Vater damals war, er ist jetzt nicht mehr derselbe Mann.«
Diese dunklen, unergründlichen Augen bohrten sich in ihre, aber sie hielt ihnen stand und war entschlossen, ihm nicht auszuweichen. »Siehst du es denn nicht? Wenn du ihn jetzt tötest, kaltblütig und überlegt, begehst du das gleiche Verbrechen, dessen du ihn anklagst. Du hast eine Wahl. Sei ein besserer Mensch als der, der er für dich ist. Haltet auch die andere Wange hin, Mylord.«
»Liebet eure Feinde?«
»Ist dieser Gedanke so schwer zu begreifen?«, fragte sie, und ihre Stimme schwankte vor Schmerz. Sie wusste, wie es war, den Feind zu lieben. Tatsächlich war es gar nicht schwer gewesen, das zu tun. Aber einen verletzten, verbitterten Mann zu lieben war etwas ganz anderes, als einem Ungeheuer seine Verbrechen zu vergeben oder auch Zuneigung für die Verwandten dieses Ungeheuers zu empfinden, von Liebe ganz zu schweigen. Dieses Wissen trug jedoch nur wenig dazu bei, den Schmerz in ihr zu lindern.
»Ach, Lämmchen, ich will dir nicht wehtun. Das war nie meine Absicht.«
»Das hast du auch nicht. Du bist freundlich und ehrlich gewesen, als du jeden Grund hattest, mich zu verachten. Was wehtut, ist, dich in deinem Schmerz zu sehen und zu erkennen, was er mit dir anstellt. Ich wünschte, ich könnte ungeschehen machen, was geschehen ist. Es tut mir leid um alles, was ich letzte Nacht zu dir
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