Ritter 01 - Die Rache des Ritters
spät?«
»Nein.« Sie trocknete Alarics schweißnasse Stirn mit dem Rand ihres Ärmels. »Er lebt, aber ich fürchte, nicht mehr sehr lange.«
Die Niedergeschlagenheit in ihrer Stimme erschütterte Gunnar, denn Niedergeschlagenheit kannte er bei ihr nicht. In diesem Moment empfand er zutiefst den Wunsch, sie zu beschützen, diese wunderbare Frau davor zu bewahren, sich jemals so furchtsam und geschlagen zu fühlen, wie er sich oft gefühlt hatte. Er betrat die Kammer und hoffte, der Grund, aus dem er die ganze Nacht durchgeritten war, würde ihnen beiden die Angst um Alaric nehmen.
»Wer ist das?«, fragte Raina.
»Er ist ein Heiler«, entgegnete Gunnar. »Sein Name ist Merrick.«
Rainas hoffnungsvolle Miene richtete sich sofort auf den alten Mann, als dieser an Alarics Lager trat und den Verband anhob. Ein tiefer, nachdenklicher Ton kam aus seiner Kehle, während er die Wunde untersuchte.
»Ich habe alles getan, was mir eingefallen ist«, flüsterte sie entschuldigend und sah Gunnar mit Tränen in den Augen an. »Nichts schien zu helfen. Seine Wunde ist sehr tief, sie will nicht aufhören zu bluten – «
Merrick nickte anerkennend, während er über Alaric gebeugt stand und die Wunde betrachtete. »Sie muss ausgebrannt werden.«
»Ausbrennen?«, keuchte Raina entsetzt. »Was bedeutet das?«
»Es ist nötig, um die Blutung zu stillen und die Haut zu schließen. Du hast gute Arbeit geleistet, Mädchen. Die Wunde sieht sauber aus.« Merrick wandte sich an Gunnar. »Ich werde deine Klinge brauchen.«
Gunnar nickte und zog seinen Dolch, aber im nächsten Augenblick war Raina bei ihm, packte ihn am Arm und sah ihn flehend an. »Bist du dir sicher? Was weißt du über diesen Heiler?«
Gunnar lächelte und hoffte, sie zu beruhigen. »Aye, ich bin völlig sicher. Es ist alles in Ordnung.« Er war machtlos dagegen, ihr mit der Fingerspitze über die Wange zu fahren. »Er weiß, was er tut, Lämmchen. Er hat das schon früher gemacht.« Als Gunnars Blick zu Merrick glitt, lag eine Warnung darin. »Ich vertraue ihm.«
Sehr zu Rainas Erleichterung schien die Prozedur, die Merrick durchgeführt hatte, Erfolg zu haben. Alaric war Gott sei Dank während der qualvollen Behandlung bewusstlos geblieben. Als die Klinge auf Alarics Haut zischte, verlor auch Raina für einen Moment das Bewusstsein, aber sie schrieb diese Ohnmacht eher ihrer Müdigkeit als einem Schwächeanfall zu. Als ihre Hilfe nicht mehr gebraucht wurde, hatte Merrick Gunnar und Raina fortgeschickt, damit er seine Arbeit zu Ende bringen konnte, und er hatte ihnen versichert, dass Alarics Wunde jetzt sauber und fest verschlossen war und zu erwarten war, dass er sich in einigen Tagen erholt haben würde.
Raina oblag es, sich erneut um ihren Patienten vom Vortag zu kümmern, der mit nacktem Oberkörper auf seinem Bett saß und dessen Armwunde wieder heftig geblutet hatte. Mit einem weingetränkten Tuch entfernte sie das verkrustete Blut und begutachtete den Schaden. Die meisten Stiche waren noch in Ordnung, aber einige hatten sich gelockert – vermutlich während seiner Auseinandersetzung mit Burc – und mussten durch neue ersetzt werden. Entschlossen, seinen intensiven Blick nicht zu erwidern, der immer wieder seit dem Moment auf sie gerichtet war, als er den Raum betreten hatte, begann Raina die Wunde zu nähen.
»Das fühlt sich sehr vertraut an«, bemerkte er trocken, und seine Stimme verwirrte sie so sehr, dass sie fast die Nadel hätte fallen lassen.
»Vertraut, aye. Abgesehen davon, dass nichts mehr so ist, wie es gestern noch war.«
Sie ließ diese Bemerkung ohne weitere Erklärung einen Moment lang so stehen und fühlte, wie Gunnar sich unter ihren Händen anspannte. Raina dachte an all das, was am vergangenen Tag zwischen ihnen geschehen war, von dem zärtlichen Kuss am Morgen und dessen schmerzlichem Ende bis zu dem vernichtenden Beweis der Ringe, die die Schuld ihres Vaters bezeugten. Und, vielleicht am verstörendsten von allem, Gunnar in einem so starken und erschreckend neuem Licht zu sehen. »Ich bin nicht mehr dieselbe wie gestern«, sagte sie schließlich und verknotete einen fertigen Stich. »Und du auch nicht.«
»Ach, mein süßes Lamm, du magst dich verändert haben, aber ich nicht.« Raina hielt inne. Sein Puls schlug kräftig unter ihren Fingerspitzen, und sie dachte an seine Umarmung von gestern und wie sanft er sie berührt hatte. Wie verschieden von der Unbeherrschtheit, die sie heute Nacht miterlebt hatte. »Vielleicht hast
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