Ritter des dunklen Rufes
Ziel, durchdrang die blaue Weste. Ihr Mund öffnete sich, ihr Kopf fiel zur Seite. Die Menge murrte zornig auf, Hände streckten sich auf, um Errin zu ergreifen. Ihm war jetzt alles gleichgültig, doch Ubadai jagte heran und hieb einem Mann die Reitpeitsche quer über das Gesicht. Der Nomade ergriff die Zügel von Errins Pferd, trieb es an, und die beiden donnerten den Hügel herab, als die Flammen von Dianus Feuerbestattung den Himmel erhellten.
7
Lámfhada sah zu, wie Arian ihre Schritte abmaß. Zufrieden nahm sie ein Stück Kreide aus ihrer Tasche und malte etwa einen halben Meter über dem Boden einen groben Kreis auf den dicken Stamm einer Eiche. Dann kam sie zu dem Jungen zurück. Er liebte es, sie gehen zu sehen – ihre Bewegungen waren geschmeidig, fast fließend, die Augen hellwach. Sie grinste ihn an.
»Bist du bereit?« fragte sie.
»Ja.«
»Dann spann deinen Bogen.« Lámfhada nahm eine Sehne aus der geborgten Hüfttasche und schlang sie um den Langbogen. Wie man es ihm gezeigt hatte, befestigte er sie erst am Fuß des Bogens, bog dann die Spitze nach unten, um die zweite Schlinge festzumachen.
»Der Baum dort«, sagte Arian, »ist dreißig Schritt entfernt. Wir haben mit dreißig Schritt geübt, also weißt du, wie du zielen musst.«
»Ja sicher«, sagte er, zog einen Pfeil aus dem hirschledernen Köcher und legte ihn auf die Sehne.
»Jetzt stell dir vor, dieser Kreidekreis wäre ein Fasan -und dann töte ihn«, befahl sie. Langsam zog er die Sehne zurück, bis sie seine Wange berührte, zielte auf den Kreidekreis und schoss. Der Pfeil bohrte sich etwa zwei Meter oberhalb des Kreises in den Stamm. Er war wütend auf sich und griff nach einem zweiten Pfeil.
»Warte!« ordnete sie an. »Sieh dir die Flugbahn an und sag mir, was dir auffällt.«
»Es ist eine offene Fläche, ohne Bäume dazwischen.«
»Was noch?«
Er starrte das Ziel an. »Es geht bergab.«
»Genau, Lámfhada. Und wie wenn du über flaches Gelände schaust, betrügt dein Auge dich. Denk daran: Du wirst zu hoch schießen, wenn dein Ziel bergab liegt, zu tief, wenn du bergauf oder über Wasser hinweg zielst. Ebenso schwierig ist es, im Wald Entfernungen zu schätzen. Jetzt sieh auf dein Ziel und ziele etwa drei Schritte vor den Baum.«
Er tat wie ihm geheißen, und der Pfeil flog auf den Kreidekreis zu, als würde er magisch angezogen.
»Geschafft!« jubelte er.
»Ja, ein schöner Schuss. Jetzt dreh dich nach rechts und schieße einen Pfeil in den Stamm der Kiefer dort drüben.«
Lámfhada legte an und sah prüfend zu dem Baum hinüber. Er schätzte die Entfernung auf vierzig Schritt und spannte den Bogen deshalb, als wären es fünfzig. Geschmeidig ließ er die Sehne los, und der Pfeil glitt auf sein Ziel zu – und blieb dann davor im Boden stecken. »Das verstehe ich nicht«, sagte er.
»Schreite die Entfernung ab«, befahl sie. Langsam ging er zu der Kiefer, der Baum war siebzig Schritt entfernt.
»Du musst lernen, solche Dinge einzuschätzen«, sagte sie, neben ihm her gehend. »Der Grund, weshalb es dich genarrt hat, ist die Anzahl der Bäume auf der Flugbahn. Sie haben deine Perspektive verzerrt und den Abstand kleiner wirken lassen. Komm, wir holen deinen Pfeil aus der Eiche.«
»Werde ich allmählich besser, Arian?« fragte er, nach einem Wort der Anerkennung hungernd.
»Du hast einen guten Arm und schießt, ohne zu zittern«, antwortete sie. »Wir werden sehen.«
Einen guten Arm! Lámfhada fühlte sich wie ein König.
Der Regen hatte am Morgen aufgehört, und der Nachmittag war klar und strahlend, als er mit Arian auf dem Hügel saß, der das Dorf überblickte. Unter ihnen versuchte Elodan, der Neuankömmling, mit einem kurzen Beil, Holz zu spalten. Seine Bewegungen waren schwerfällig, und immer wieder verfehlte die Schneide die Scheite und prallte gegen den Ring aus Hartholz.
Jeden Tag übte Elodan, und er machte nur quälend langsam – wenn überhaupt – Fortschritte.
Lámfhada war über das Schlimmste seiner Verwundung hinweg, die jetzt erbarmungslos juckte, da der Schorf sich allmählich löste.
»So, junger Magier, erzähl mir von den Farben«, sagte Arian, stützte sich auf die Ellbogen und grinste den verlegenen Jungen an. Er hatte versucht, sie mit seinen Kenntnissen von Magie zu beeindrucken und ihr Ruads Stiefel gezeigt. Aber als er sie anzog und den Namen Ollathair flüsterte, passierte überhaupt nichts. Die Magie hatte sich auf seiner Flucht vor Graf Errin und seinen Jägern erschöpft.
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