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Ritter und Raufbolde

Ritter und Raufbolde

Titel: Ritter und Raufbolde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauss
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verschleppt, um Lösegeld zu erpressen. Darüber hinaus erfahren wir von den Übergriffen auf schöne Bürgerinnen und ihre Töchter. Sollen wir aus diesem Bericht schließen, dass nur die schönen Bürgerinnen und ihre Töchter vergewaltigt wurden? Wohl kaum. Vielmehr scheint es erst die soziale Stellung (als Stadtbürgerin) und das Aussehen zu sein, welche die Übergriffe auf diese Frauen erwähnenswert machen.
    Die Gewalt des Krieges traf nicht nur Frauen, sondern auch männliche Nichtkombattanten: Sie wurden vertrieben und mussten sich in den Wäldern verstecken – wie im Sachsenkrieg – oder wurden zur Lösegelderpressung verschleppt – wie im Hundertjährigen Krieg. Im Rahmen der mittelalterlichen Vorstellungen von Familie und der Vorrechtstellung des Mannes richtete sich eine Vergewaltigung darüber hinaus immer auch gegen den Mann, der nicht in der Lage war, seine Frau zu beschützen und damit seine Rolle als Familienoberhaupt auszufüllen. Dies betonen die zahlreichen Quellenstellen, die von Vergewaltigungen von Frauen und Töchtern in der Gegenwart der Männer und Väter berichten. Auf diese Weise wurde den Unterlegenen ganz plastisch ihre Hilflosigkeit und Ohnmacht vor Augen geführt.
    |84| Deportation
    Auch im Mittelalter kannten Heerführer diese Form der kriegerischen Gewalt und brachten sie ganz gezielt für politische oder strategische Zwecke zum Einsatz. Als die Sachsen aus fränkischer Sicht ihren Widerstand nicht aufgaben, ließ Karl der Große 799 etliche Mitglieder der sächsischen Führungsschicht mit Frauen und Kindern ins Frankenreich umsiedeln und auf verschiedene Regionen verteilen. Deportation war hier ein strategisches Mittel, um ein langfristiges Kriegsziel zu erreichen. Auch aus taktischen Überlegungen wurde im Mittelalter deportiert: König Eduard III. von England ließ 1346 die männlichen Bürger von Harfleur auf Schiffen nach England bringen, damit diese nicht im Rücken der weiterziehenden englischen Truppen zur Bedrohung werden konnten.
    Gewalt in den Berichten vom Krieg
    Krieg und Gewalt sind untrennbar miteinander verbunden; daher verwundert es nicht, wenn in Kriegsberichten von Gewalt die Rede ist. Irritierend, weil zynisch und teilnahmslos, wirken |85| hingegen jene Texte, die vom Krieg sprechen und auf jeden Hinweis auf Gewalt verzichten. In ihnen mutiert der Krieg zu einer Art Spiel, in dem es ums Gewinnen geht, der Weg dahin aber weitgehend ausgeblendet wird.
    Ganz anders ist es um die Texte bestellt, die ausdrücklich auf die Gewalt Bezug nehmen. Dies kann in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen Absichten passieren. So sollen Hinweise auf (erfolgreich) ausgeübte Gewalt die kämpferischen Qualitäten der eigenen Seite betonen. Gewalt dient dann der Unterhaltung der eigenen Seite, wenn sie zur Selbstversicherung beiträgt. Ähnlich wie heute in zahlreichen Hollywood-Filmen die Darstellung von Gewalt zur Unterhaltung des Publikums beiträgt, erfüllte die Schilderung von Gewaltsamkeit auch in mittelalterlichen Texten diese Funktion.
    Entscheidende Voraussetzung dafür, dass Gewalt das Publikum unterhalten kann, ist ihre Qualität: Es muss sich im Sinne der Adressaten um ,gute‘ Gewalt handeln. Sie muss im Kontext des Krieges gerechtfertigt sein, darf also nicht vorhandene Abgrenzungen und Normen überschreiten. Außerdem muss Gewalt erfolgreich ausgeübt werden: Es muss eine möglichst große Zahl von Feinden darunter leiden. Das Diktum ,viel Feind – viel Ehr‘ wirkt in diesem Zusammenhang ganz buchhalterisch: Je mehr Feinde ein Held umbringen kann, desto unterhaltsamer sind seine Taten. Entscheidend für den Unterhaltungswert von Gewalt ist hier die Verknüpfung mit einem Helden: Dieser wird eben dadurch zum Held, dass er Gewalt ausübt. Dies gilt für James Bond genauso wie für mittelalterliche Recken vom Schlag eines Siegfrieds, und ist eine kulturelle Konstante. Entscheidend ist, dass die Gewalt ins rechte Licht gerückt wird: Sie richtet sich gegen einen würdigen Gegner und meist gegen ,den Bösen‘. Ist dieser Kontext |86| erst einmal etabliert, trägt die Schilderung von Gewalt zur Heroisierung und damit zur Unterhaltung bei:
    Auch das Heer des Königs [Heinrich IV.] rückte vor, die Treffen gehörig aufgestellt, und eilte schon gegen den Feind. [...] Schwer tobte der Kampf und es erhob sich das Tosen des Krieges; mit ihren Waffen brachen sie [die Kämpfer König Heinrichs] in die dichtgedrängten Schlachtreihen der Sachsen ein, freudig

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