Ritter und Raufbolde
ein. Sehen konnte man nur durch Sehschlitze, atmen durch Luftlöcher oder -schlitze, die sich meist auf der rechten Seite des Helmes befanden, also der Schwerthand des (meist rechtshändigen) Gegners abgewandt. In der Verbreitung des Topfhelms wird ein Grund für die Entwicklung der mittelalterlichen Wappenkunde gesehen: Die Kämpfer wurden durch die Rüstung, zu der auch der Helm zählte, zunehmend uniform und unkenntlich; deswegen mussten sie auf farbige Zeichnungen zurückgreifen, um sich zu identifizieren.
Man kann zwei Wege unterscheiden, wie Nichtkombattanten zu Opfern des Krieges wurden: direkt und indirekt. Zum einen betraf kriegerische Gewalt Nichtkombattanten ganz unmittelbar: Sie wurden von Kämpfern getötet, verstümmelt, verbrannt, vergewaltigt und verletzt. Dies geschah im Kontext von Kriegszügen und Belagerungen, bei Plünderungen und Brandschatzungen, im Kollektiv oder einzeln, auf Befehl oder eigenen Antrieb. Indirekt wurden Nicht-Kombattanten zu Opfern des Krieges, wenn dieser ihre Lebensgrundlage zerstörte oder sie Angehörige an ihn verloren, wenn die Ernte vernichtet oder gestohlen wurde oder der Ehemann nicht mehr aus dem Krieg heimkehrte.
Gewalt gegen Frauen
Während das aktive Kriegertum (beinahe) ausschließlich Männersache war, zählten Frauen meist zu den Opfern des Krieges (vgl. S. 111):
Wenn die Heiden so über uns gesiegt hätten, würden sie die Besiegten nicht grausamer behandeln. Es half den Frauen nichts, dass sie sich in die Kirchen geflüchtet und ihre Habe dorthin getragen hatten; denn die Männer waren in die |82| Wälder geflohen oder wo sonst sie in einem Versteck Rettung hoffen konnten. Die Frauen schändeten sie [die Leute König Heinrichs IV.] noch in den Kirchen, selbst wenn sie sich zum Altar geflüchtet hatten, und wenn nach Barbarenweise ihre Lust befriedet war, verbrannten sie die Frauen mit den Kirchen. 2
In diesem Ausschnitt aus Brunos Buch über den Sachsenkrieg wird viel von der Grausamkeit des mittelalterlichen Krieges deutlich. Bruno beschreibt das Vorgehen der siegreichen Truppen König Heinrichs IV. nach einem Sieg über die ,aufstän dischen ‘ Sachsen im Jahr 1075. In diesem Konflikt zwischen dem König aus dem Hause der Salier und den Sachsen stand Bruno eindeutig aufseiten der Sachsen. Seine Darstellung von den Gräueltaten der Sieger ist also sicherlich parteiisch, und der Hinweis auf Vergewaltigungen dient der Delegitimierung des Gegners. Wer Frauen vergewaltigt, verhält sich wie ein Heide – das ist der schlimmste Vorwurf, den man einem christlichen Krieger machen kann.
Im Vorwurf Brunos gegen die siegreichen Truppen Heinrichs steckt aber noch mehr: Er wirft den Siegern nicht nur Vergewaltigung vor, sondern steigert diesen Vorwurf durch den Hinweis, dass die Vergewaltigungen in Kirchen, ja auf den Altären, stattgefunden hätten. Es entsteht hier der Eindruck einer dreistufigen Steigerung: Vergewaltigung, Vergewaltigung in Kirchen und Vergewaltigung am Altar. Diese Schilderung passt zum einen zum Heiden- und zum Barbarenvergleich; wie die heidnischen Barbaren kennen auch die Kämpfer Heinrichs keinen Respekt vor christlichen Werten. Diese Steigerung verweist aber auch auf eine andere Dimension des Redens vom mittelalterlichen Krieg; es erscheint Bruno offenbar nicht ausreichend, den Gegnern ,nur‘ Vergewaltigungen zu unterstellen. |83| Er muss die Übergriffe auf Frauen mit dem Hinweis auf Kirchenschändung verknüpfen, um ihnen so (mehr) Schärfe zu verleihen. Dies weist – wie etliche andere mittelalterliche Quellen – darauf hin, dass Vergewaltigungen im Krieg zahlreich und allgegenwärtig waren. Mit dem Alltäglichen aber konnte man in der Geschichtsschreibung niemanden beeindrucken – so zynisch das in diesem Fall in unseren Ohren klingen mag. Berichtenswert ist das Außergewöhnliche, und dazu zählten Vergewaltigungen im Krieg offenbar nicht.
In diese Richtung weist auch folgendes Beispiel:
Ein großer Teil der reichen Stadtbürger wurde gefangen und nach England verbracht, um Lösegeld zu erpressen. Ein sehr großer Teil der gemeinen Leute wurde gleich getötet. Zahlreiche schöne Bürgerinnen und ihre Töchter wurden vergewaltigt, was eine große Schande war. 3
Nichtkombattant ist hier nicht gleich Nichtkombattant. Arme und Reiche werden ebenso unterschiedlich behandelt wie Männer und Frauen. Männer, deren Armut sie in der Ökonomie des Krieges wertlos erscheinen lässt, werden umgebracht. Männliche reiche Bürger werden
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