Ritter und Raufbolde
eines Heeres waren von vielen Faktoren abhängig: Vorhandensein und Qualität von Straßen, Witterung, Nachschubsituation und Ausstattung des Heeres. Vollständig berittene Einheiten konnten sich schneller bewegen als gemischte Verbände aus Fuß- und Reitertruppen; ein umfangreicher Tross (aus Packpferden und Ochsengespannen) verlangsamte das Heer, machte es aber von der lokalen Versorgungslage unabhängig. Das Tempo gab immer der langsamste Teil vor. Anhand von Einzelbeispielen können wir für Fußtruppen eine ungefähre durchschnittliche Marschleistung von circa 20 Kilometern pro Tag errechnen; mitunter kamen Heere aber pro Tag nur knapp 10 Kilometer weit. In Ausnahmefällen – etwa auf der entscheidenden letzten Etappe vor einem Überraschungsangriff – konnten sicherlich auch deutlich mehr Kilometer gemacht werden. Reitertruppen konnten bis zu 50 Kilometer am Tag zurücklegen, waren an einem solchen Tag dann aber kaum noch einsatzfähig.
Plündern und verwüsten
Kriegszüge dienten nicht nur dem Zweck, ein Heer von A nach B zu bringen, um dort zu kämpfen. Der Weg selbst konnte gleichsam das Ziel sein. Die Heere bewegten sich im Feindesland, um zu plündern und zu brandschatzen. Dieses Vorgehen hatte unterschiedliche Ziele: Durch Plünderungen konnten die Kämpfer sich bereichern, und Beute war immer ein wichtiges Movens für den Krieg und die Kriegsteilnahme.
Bei Verwüstungen war die Sachlage eine andere. Hier ging es nicht um persönliche Bereicherung, sondern darum, dem Gegner möglichst großen Schaden zuzufügen. Will man nicht über die Gewaltdispositionen der mittelalterlichen Kämpfer psychologisieren und annehmen, dass sie aus Freude an der Gewalt oder Aggressivität anderen Menschen Schaden zugefügt |77| haben, muss man nach einem rationalen Anliegen hinter den Verwüstungen fragen. Je nach Art des Kriegszuges war dies unterschiedlich ausgeprägt: Die Strategie der ,verbrannten Erde‘ zielte darauf ab, einem gegnerischen Heer die Lebensgrundlage zu entziehen und es so kampfunfähig zu machen. Dies konnte im Vorfeld einer Belagerung zum Tragen kommen, wenn ungeschützte Vorstädte abgerissen und abgebrannt wurden. Aber auch ganze Kriegszüge konnten dieser Logik folgen. Ein Streifen der Verwüstung – weithin sichtbar durch Feuer und Rauch – hat viele mittelalterliche Heere begleitet.
Vernichtung durch Feuer
Das Feuer war und ist eine mächtige Waffe des Krieges. Auf keine andere Weise ließen sich große Flächen in kurzer Zeit und ohne großen Personalaufwand vernichten. So wundert es nicht, dass die Plünderungszüge zahlreicher Heere von Feuerwänden und Rauchsäulen begleitet wurden.
Honor Bouvet formuliert über die Kriege des 14. Jahrhunderts: „Wer es nicht versteht, Feuer zu legen [...], der ist nicht in der Lage, Krieg zu führen.“ 19
In der Erscheinung gleich, in der strategischen Zielrichtung anders waren Plünderungen und Vernichtungen motiviert, die sich nicht gegen ein feindliches Heer richteten, sondern zunächst ganz ohne Beteiligung von feindlichen Truppen stattfanden. Im Hundertjährigen Krieg zogen vergleichsweise kleine englische Einheiten plündernd und sengend durch Frankreich. Diese Aktionen werden Chevauch e genannt, weil alle Krieger beritten waren
( cheval
= Pferd); moderne Historiker haben sie wegen der Schnelligkeit der Aktion mit dem Blitzkrieg verglichen. Dies trifft nur auf die Form, nicht aber auf die strategische Absicht zu. Ziel dieser Chevauch es war es nicht, den Gegner zum Kampf zu stellen oder ein Gebiet zu erobern. Es ging – neben der Beute – vielmehr darum, den Herrschaftsanspruch der anderen Seite zu untergraben. Zu den wichtigsten und vornehmsten Aufgaben eines mittelalterlichen Königs gehörte der Schutz seiner Untertanen. Wenn englische Truppen das Kernland Frankreichs ungehindert verwüsten konnten, ohne dass die französische Krone sich ihnen in den Weg stellte und sie zum Kampf stellen konnte, beeinträchtigte dies die Autorität des Königs. Hier werden die Nichtkombattanten zum primären Ziel einer Kriegsführung, die in ihrer politischen und psychologischen Logik erstaunlich modern anmutet.
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|78| Gewalt trifft alle – Die Opfer des Krieges
I m Krieg gibt es immer Opfer, auch im Mittelalter. Dem US-amerikanischen General George Patton wird der Ausspruch zugeschrieben: „The object of war is not to die for your country but to make the other bastard die for his.“ Anders formuliert: Ein Kämpfer, der im Krieg fällt,
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