Ritter und Raufbolde
Gegner davon überzeugen, sich zu unterwerfen.
Indirekte Gewalt gegen Nichtkombattanten verbirgt sich oftmals in lapidaren Bemerkungen:
|92| Aber des Kaisers Sohn Karl schlug eine Brücke über die Elbe und führte sein Heer so schnell wie möglich hinüber gegen die Linonen und Smeldinger [...], verwüstete weit und breit ihre Felder und kehrte dann mit seinem Heere ohne allen Verlust wieder über den Fluss nach Sachsen zurück. 8
Hier berichten die Reichsannalen, die man als offiziöse Hofgeschichtsschreibung des karolingischen Herrscherhauses bezeichnen könnte, über einen Kriegszug Karls – des ältesten Sohnes Kaiser Karls des Großen – gegen zwei elbslavische Stämme. Aus Sicht der Franken läuft alles bestens: Sie gehen über die Elbe, verwüsten das Feindesland sehr erfolgreich und kehren ohne Verluste wieder in die Heimat zurück. Hinter der Formulierung ,verwüstete weit und breit ihre Felder‘ verbergen sich aber menschliche Schicksale. Will man diesen Satz nicht nur als Floskel verstehen, der den Erfolg der fränkischen Operation umschreiben soll, dann wurde hier die Lebensgrundlage von Frauen und Kindern der Linonen und Smeldinger vernichtet. Wie so oft hat auch hier der Sieger kein Interesse am Leid der Verlierer, werden die Opfer des Krieges aus den Erzählungen vom Krieg ausgeblendet.
Zu den Opfern des Krieges zählen auch die Hinterbliebenen der gefallenen Kämpfer: Der Krieg war Witwen- und Waisenmacher. Jan van Heelu verweist auf die Intensität eines Krieges:
Das war [die] erste Heerfahrt […], die viele zu Waisen und Witwen machte, denn der Krieg blieb so erbittert, hart und schwer, wie keiner je zuvor war. 9
Wir können die Zahl der Opfer unter den Nichtkombattanten, das Ausmaß ihrer Schädigung oder ihr Leidens heute nicht mehr quantifizieren. Wir können auch nicht feststellen, ob die Kriege |93| des Mittelalters tendenziell mehr oder weniger Nichtkombattanten getroffen haben als die Kriege anderer Epochen. Aus der Sicht der Opfer ist diese Frage auch nachrangig und zynisch.
Kämpfer als Opfer des Krieges
Krieger kamen im Mittelalter in großer Zahl ums Leben. Teilnehmer an einer Schlacht oder Belagerung gingen immer das Risiko ein, getötet zu werden. Dieses Risiko schwankte je nach sozialer Stellung und Funktion im Heer, nach Kriegsschauplatz und -art und war vor allem abhängig von Sieg und Niederlage.
Ein Ritter, der in einem Krieg zwischen Christen siegreich war, hatte sicherlich deutlich bessere Überlebenschancen als ein als Fußkämpfer agierender Bauer, der einem andersgläubigen Feind unterlegen war. Ihr Status schützte die Ritter ebenso wie ihre Panzerung. Sie waren mehr wert als einfache Fußkämpfer und daher schonenswert; außerdem waren sie schwieriger zu töten.
Ganz in diesem Sinne berichtet Ordericus Vitalis, dass in der Schlacht von Br mule im Jahr 1119 zwischen den Königen von England und Frankreich, Heinrich I. und Ludwig VI., nur eine geringe Zahl von Rittern ums Leben gekommen sei:
Ich habe gehört, dass in dieser Schlacht zwischen zwei Königen, in der ungefähr 900 Ritter kämpften, nur drei getötet worden sind. 10
In dieser Schlacht starben also nur drei Kämpfer? Mitnichten: Die Quelle interessiert sich nur für die Ritter und erwähnt andere Kämpfer gar nicht. Wir wissen schlicht nicht, ob und wie viele nicht-ritterliche Kämpfer bei Br mule ums Leben kamen, weil sich die zeitgenössische Geschichtsschreibung nicht für sie interessiert hat. Dieses Beispiel ist symptomatisch. Genaue |94| Angaben zu Verlusten sind schwierig, sowohl relativ als auch absolut. Weder können wir generelle Aussagen darüber machen, zu welchem Prozentsatz mittelalterliche Kämpfer gefallen sind, noch wissen wir für etliche Schlachten, wie viele Kämpfer genau starben. Ausgangspunkt für alle Überlegungen zu Verlusten muss dabei die Frage sein, wie viele Kämpfer überhaupt in die Schlacht zogen.
Von Truppenstärke und Opferzahlen
Angaben zur Truppenstärke können wir im Wesentlichen aus zwei verschiedenen Quellengruppen beziehen: Dies ist zum einen die Geschichtsschreibung. Im Rahmen von Schlachtschilderungen vermerken die Chronisten oft, wie viele Kämpfer sich gegenüberstanden. Allerdings sind diese Angaben meist wenig zuverlässig. Oftmals können die Geschichtsschreiber die Zahlen gar nicht genau kennen. Auch wenn sie Augenzeugen einer Schlacht waren, hilft das nur bedingt: Es ist – zumal für in militärischen Belangen ungeschulte Kleriker – sehr
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